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KUNSTNACHRICHTEN
BEIBLATT DER KUNSTWELT
ERSCHEINT VIERZEHNTÄGIG

I.Jahrg. No. 1 1. Oktober 1911
Redaktion und Expedition: BERLIN W.62, Maaßenstr. 32 — Anzeigenverwaltung: WEISE & CO., Berlin W.62
Die Kunstnachrichten werden an die Mitglieder der angeschlossenen Kunstvereine gratis abgegeben, sonst
..................... jährlich 3 Mark, durch den Buchhandel oder durch die Post bezogen.

Aufgaben und Ziele der Deutschen Kunstvereine
i.

\Y/er Arbeit der Deutschen Kunstvereine in
vv den letzten Jahrzehnten an der Hand der
Geschäftsberichte verfolgt hat, wird sich der Wahr-
nehmung nicht entziehen können, daß die zu-
nehmende Zentralisierung des Kunstschaffens in
kaufkräftigen Verkehrsmittelpunkten ungünstig auf
die Entwickelung der Vereinsbestrebungen ein-
gewirkt hat. Der Zuwachs der Mitgliederzahl und
somit der Einkünfte entspricht nicht der Steigerung
des Nationalwohlstandes, und der Abzug der
Künstler nach dem ergiebigeren Talentmarkt der
Großstadt macht es immer schwieriger, Kunst-
verständnis durch wechselnde Kunstanschauung
zu vermitteln. Dem Bedürfnis des lokalen Konsums
fehlt vielfach das produzierende Hinterland. Von
Berlin, Dresden, München, Darmstadt, Stuttgart,
Karlsruhe als Residenzen, von Düsseldorf, Kassel,
Königsberg, Breslau als Akademien, von einigen
Provinzialhauptstädten mit größeren Museen und
den kaufkräftigen Hansestädten abgesehen, macht
sich ein Stagnieren der Kunstvereine bemerkbar,
das seinen Hauptgrund in dem Mangel des steten
Zustroms lebensvoller Produktion findet.
Aber auch-die Vereine der Kunstzentren wollen
bei den noch immer hochgehenden Wogen der
verschiedenen Kunstströmungen in ein stetiges
Fahrwasser nicht gelangen. Ihre Kräfte erschöpfen
sich in Verlosungen und Bilderankäufen, mit
denen sie es bei der herrschenden Geschmacks-
verirrung Niemandem mehr recht machen können.
Die Spaltung in Anhänger des „Alten“, des
„Neuen“ und des „Neuesten“ überträgt sich auch
auf ihre stillen Kreise.
Die Kunstvereine ihren lokalen Zwecken

entfremden, hieße, ihnen ihren kräftigsten Nähr-
boden entziehen. Die Unterstützung der am Orte
lebenden Künstler durch Erteilung von Aufträgen
und Ankauf ihrer Werke, die Mehrung der
städtischen Sammlungen, die Erhaltung und
Restaurierung einheimischer Kunstdenkmäler, die
Förderung des künstlerischen Schmuckes von
Straßen und Plätzen, das alles sind Aufgaben,
die in den engeren Kreis der Vereinsbestrebungen
gehören und gelöst werden können, sobald es dem
Vorstande gelingt, das Interesse der Mitglieder über
Verlosung und Nietenblatt hinaus rege zu erhalten.
Die ständigen wie die in bestimmten Zeit-
abschnitten wiederkehrenden Ausstellungen sind
ein Gegenstand steter Sorge. Das Durchschnitts-
niveau des Bildermaterials ist an kleineren und
mittleren Orten im Sinken begriffen, und wenn der
Vorstand es einmal wagt, der „Moderne“ Kon-
zessionen zu machen, stößt er auf energischen Wider-
spruch der „Rückständigen“. Das Kunstverständnis
versagt, weil die durch die Anschauung bedingte
Kenntnis der Mittelglieder der Entwickelung fehlt.
Wohl haben einzelne, dem modernen Schaffen
näher stehende Kunstgelehrte es versucht, durch
Wandervorträge zu wirken, aber ihre Erfolge
waren meist rein persönliche und fanden haupt-
sächlich innerhalb der leichter beweglichen Kreise
des Kunstgewerbes Anklang und Unterstützung.
Ein Haupthemmnis der Bestrebungen der Kunst-
vereine ist die Teilnahmlosigkeit der Mitglieder,
die sich übrigens aus den vorstehenden Aus-
führungen erklärt. Kaum fünf Prozent der Mitglieder
sind für Vereinsversammlungen zu haben, von denen
doch die Aktivität des Organismus abhängig ist.
 
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