Es ist darum ja begreistich, weil in der Kunst der Menschen-
darstellung die Ausübenden zumeist gezwungen sind, den verschiedensten
Richtungen in einer Person zu dienen. Die Dichter und der bildende
Künstler mögen, wenn sie nur Selbständigkeit und den Mut des eigenen
Jchs haben, im einsamen Arbeitsraume bilden, was ihnen der Geist der
Zeit zuraunt, und dann, wenn auch nicht zu Käufern, so doch zu einem
weiteren Kreise aus ihrer durch wenig Rücksichten beengten Jndividua-
lität heraus reden. Anders der Schauspieler: er ist zunächst unter allen
Umständen nur der Vermittler eines anderen und wohl oder übel ge-
zwungen, seine ganze Persönlichkeit im Denken und Empfinden dem
Willen dieses andern anzupassen. Zudem steht er nicht allein auf der
Szene, seine künstlerische Persönlichkeit wird von denen, die ihn umgeben,
beeinflußt, zu seinem Wolste oder Schaden, je nachdem, und zwar viel-
sach unter kaum zuverlässig zu berechnenden Umständen. Alle diese
Verhältnisse, die natürlich nicht nur im Zeichen der Gegenwart stehen,
sondern sehr wohl sub specis aeteroi betrachtet werden können, müssen
bei einer billigcn Beurteilung des derzeitigen Zustandes der Schau-
spielkunst in Betracht gezogen werden.
Sie steht — und das scheint uns das bezeichnende Merkmal der
gegenwärtigen Lage, um die schwierige und wohl kaum zu entscheidende
Frage nach der Bedeutung der heute und der früher zu Gebote stehenden
Talente nicht erst zu berühren — sie steht vor der Aufgabe, den An-
forderungen der alten Kunst und denen der modernen zugleich ge-
recht zu werden. Bisher ist sie das nicht geworden, es hat sich vielmehr
eine Trennung nach beiden Seiten lstn vollzogen in der Weise, das;
Schauspieler ihre ganze Kraft der einen Aufgabe ausschließlich zuwenden
und daß sie, gezwungen, der anderen gerecht zu werden, vollständig ver-
sagen. Die wachsende Differenzierung der Aufgabe hat eine Vervielfäl-
tigung des Spezialitätentumes erzeugt. Und die stete Gefahr dieses
Spezialitätentums ist das Virtuosentum, dessen Ausschreitungen unter
dem Zeichen des Verkehrs und des lockenden, von Jahr zn Jahr steigen-
den Gewinnes gar nicht abzusehen sind. Gleichwohl ist grundsätstich
eine fruchtbringende Anregung der beiden Stilarten auf einander nicht
als undenkbar von der Hand zu weisen, sondern geradezu auf das
innigste zu wünschen. Ohne Zweifel lassen sich eine Reihe älterer Dich-
tungen dem modcrnen Empfindcn durch eine maßvolle Berücksichtigung
des allgemein gesteigerten Wirklichkeitssinnes nüher rücken, wcnn man
die Elemente des lebenskräftigen Realismus, die in der klassischen Lite-
ratur üüeraus reich vorhanden sind, nachdrücklich herausarbeitet und
alles, was nur aus dem Geiste einer holsten Tradition, aus Kulissenlust
und Lampenlicht schemcnhast entstanden ist, rücksichtslos beseitigt. Der
Kritik kommt die Aufgabe zu, den Sinn sür das Moderne in der Lite-
ratur des s8. und des sst- Jahrhunderts zu stärken, in dem sie den
Blick von dem Banne der Schulauffassung befreit und zugleich das Mär-
chen zcrstürt, als sei der Realismus eine funkelnagelneue Errungenschaft
der Jüngstdeutschen. Andererseits aber mag der große Stil, den die
Klassiker fordern, auch für die Darstellung modernster Werke wohlthätige
Anregung geben und vor einer Zersplitterung in Details warnen.
Freilich: nicht nur die Darsteller, sondern vor allem auch die Dichter.
An einem Punkte aber möchten wir schon heute ein Zeichen einer
darstellung die Ausübenden zumeist gezwungen sind, den verschiedensten
Richtungen in einer Person zu dienen. Die Dichter und der bildende
Künstler mögen, wenn sie nur Selbständigkeit und den Mut des eigenen
Jchs haben, im einsamen Arbeitsraume bilden, was ihnen der Geist der
Zeit zuraunt, und dann, wenn auch nicht zu Käufern, so doch zu einem
weiteren Kreise aus ihrer durch wenig Rücksichten beengten Jndividua-
lität heraus reden. Anders der Schauspieler: er ist zunächst unter allen
Umständen nur der Vermittler eines anderen und wohl oder übel ge-
zwungen, seine ganze Persönlichkeit im Denken und Empfinden dem
Willen dieses andern anzupassen. Zudem steht er nicht allein auf der
Szene, seine künstlerische Persönlichkeit wird von denen, die ihn umgeben,
beeinflußt, zu seinem Wolste oder Schaden, je nachdem, und zwar viel-
sach unter kaum zuverlässig zu berechnenden Umständen. Alle diese
Verhältnisse, die natürlich nicht nur im Zeichen der Gegenwart stehen,
sondern sehr wohl sub specis aeteroi betrachtet werden können, müssen
bei einer billigcn Beurteilung des derzeitigen Zustandes der Schau-
spielkunst in Betracht gezogen werden.
Sie steht — und das scheint uns das bezeichnende Merkmal der
gegenwärtigen Lage, um die schwierige und wohl kaum zu entscheidende
Frage nach der Bedeutung der heute und der früher zu Gebote stehenden
Talente nicht erst zu berühren — sie steht vor der Aufgabe, den An-
forderungen der alten Kunst und denen der modernen zugleich ge-
recht zu werden. Bisher ist sie das nicht geworden, es hat sich vielmehr
eine Trennung nach beiden Seiten lstn vollzogen in der Weise, das;
Schauspieler ihre ganze Kraft der einen Aufgabe ausschließlich zuwenden
und daß sie, gezwungen, der anderen gerecht zu werden, vollständig ver-
sagen. Die wachsende Differenzierung der Aufgabe hat eine Vervielfäl-
tigung des Spezialitätentumes erzeugt. Und die stete Gefahr dieses
Spezialitätentums ist das Virtuosentum, dessen Ausschreitungen unter
dem Zeichen des Verkehrs und des lockenden, von Jahr zn Jahr steigen-
den Gewinnes gar nicht abzusehen sind. Gleichwohl ist grundsätstich
eine fruchtbringende Anregung der beiden Stilarten auf einander nicht
als undenkbar von der Hand zu weisen, sondern geradezu auf das
innigste zu wünschen. Ohne Zweifel lassen sich eine Reihe älterer Dich-
tungen dem modcrnen Empfindcn durch eine maßvolle Berücksichtigung
des allgemein gesteigerten Wirklichkeitssinnes nüher rücken, wcnn man
die Elemente des lebenskräftigen Realismus, die in der klassischen Lite-
ratur üüeraus reich vorhanden sind, nachdrücklich herausarbeitet und
alles, was nur aus dem Geiste einer holsten Tradition, aus Kulissenlust
und Lampenlicht schemcnhast entstanden ist, rücksichtslos beseitigt. Der
Kritik kommt die Aufgabe zu, den Sinn sür das Moderne in der Lite-
ratur des s8. und des sst- Jahrhunderts zu stärken, in dem sie den
Blick von dem Banne der Schulauffassung befreit und zugleich das Mär-
chen zcrstürt, als sei der Realismus eine funkelnagelneue Errungenschaft
der Jüngstdeutschen. Andererseits aber mag der große Stil, den die
Klassiker fordern, auch für die Darstellung modernster Werke wohlthätige
Anregung geben und vor einer Zersplitterung in Details warnen.
Freilich: nicht nur die Darsteller, sondern vor allem auch die Dichter.
An einem Punkte aber möchten wir schon heute ein Zeichen einer