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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,1.1897-1898

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1897)
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Boreas, ...: Hoftheater-Idealismus
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Avenarius, Ferdinand: Gustav Falkes "Neue Fahrt"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7955#0060

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nach dem keineswegs mehr mustergiltigen alten Bau richten. Das Komische
an der Sache aber ist, daß früher die „Pietät", das heilige Requisit bei aller
Rückständigkeit, herhalten musste, um zu rechtfertigen, daß ein technisch so un-
zureichender Bau wie das Opernhaus seinem Zwecke auch ferner erhalten
bleiben sollte, und daß man jetzt diesen Bau rücksichtslos seines Charakters
entkleidet, ja, sozusagen ein Pasquill auf ihn schreibt, indem man die reiche
moderne Architektur hinter die schlichte zopfige dcs alten Fritzen setzt.

Mag man auch das Aeußerc des Opernhauses, das so wie so seit Jahren
durch das Dach hinter der Attika arg entstellt ist, künstlerisch nicht sehr hoch
bewerten, so ist der Bau immerhin ein seltener Schatz in der dürftigen Ber-
liner Baugeschichte; der Langhanssche Zuschauerraum nimmt es, nebenbei
bcmerkt, noch mit allen übrigen Schauhäusern Berlins auf. Eine so grobe
Pietätlosigkeit, wie sie durch die Ausführung des Heimschen Entwurfes be-
gangen würde, ist aber auch in unseren sinnigen Zeiten ziemlich ohne
Gleichen. Nnd was wird der Erfolg sein, wenn der Bau vollendet ist? Man
wird dann nach dem bewährten Nezept von dem unverwüstlichen Messer, dns
dreimal einen neuen Griff und viermal eine neue Klinge erhalten, eines Tages,
„den Zeitverhältnissen Rechnung tragend", den Vorderbau abreißen und ein
neues Zuschauerhans mit Herrn Heims Schöpfung in Uebereinstimmung auf-
führen, was dann schließlich doppelt so viel gekostet haben wird, als wenn
man einen Neubau von Grund aus vorgenommen hätte.

Gewiß: ein großes modernes Opernhaus ist eigentlich für Berlin
eine Notwendigkeit; das aber gehörte einfach an einen anderen Platz; das
Knobelsdorffsche Haus müßte zur Spieloper oder zu einem andern Zwecke be-
stimmt und vor weiteren Schimpfierungen nach Art des Unterfahrtdaches be-
wahrt werden. — Freilich aber: soll man bei den geschilderten Verhältnissen
überhaupt noch für zwei Opernhäuser stimmen? Von Kunst wegen sind beide
nur noch rcif, einzugehen!

Aber wie die unglaublichen Museumsbauten bereits jetzt begonnen
werden, so wird auch sicher das Opernhaus seinen Kuppelbau erhalten. Leeäo
quia absueäum. Mit diesem Spruche geht man bei offizieller Monumental-
Baueroi in Berlin kaum mehr fehl. B o r e a s.

Gustav Mlkes „Oeue zfabrt",

seine soeben bei Schuster und Lüfster in Bcrlin erschienene neueste Gedichtsamm-
lung, bedeutet ein gutes Buch. Nicht gerade ein bedeutendes Buch — dazu
steht Falke als Künstler noch nicht sicher genug auf den eigenen Füßen; er läßt
sich zu leicht unbewußt von andern Poeten beeinflussen, und wenn er auch nicht
ihre Worte nachsingt, so fällt er doch hüufig, ohne daß ers merkt, in ihrcn Tou.
Sich in eine Stimmung mit dcm ganzen Sein immer und immer wieder z«
verscnken, bis aus ihr das Letzte und Allerletzte gehobcn ist, was seine Per-
sönlichkeit aus ihr heben kann, auch das gelingt ihm ebenso selten, wie de»
begabtesten Andcrn unter unsern modernen Lyrikcrn. Zu diesen begabtesten
aber gchört er unzweifclhaft, und er hat vor den meisten von ihnen etwas wich-
tiges ooraus: innere Gesundheit, d. h. den natürlichen Trieb, unter den ver-
schiedenen Lust-Werten die lebcnerhaltenden den zerstörenden vorzuziehen. So
zcigt er denn höchstens in der Beeinflussung durch Leute wie Dehmel (dic ihm
sehr imponieren), aber doch nur ganz selten und nirgends, wo er ganz er selber
ist, die „Nachtkaffeehaus- und Nervenheilanstalts-Genialitüt", während Dich-

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