Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,1.1897-1898

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1897)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.7955#0037

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
tau glöwen! Ha, aewerst de annern Kirchvorstehers, de Doesköpp — alle
drci hewwt soi sick besnacken laten. Saeben nige Pipen sünd rinkamen, un
'n ganz nigen Blasbalg. Ganz utenanner hat hewwt sei all de Pipen. Kin-
ners, dat moet wi nu all wedder tausam schrapcn. Betahlen, man jümmer
betahlen un nahften 't Mul hollen, sall de Bur! Sßackerlot, de velcn Lasten
up Stunn, G'mcinde-, Karkcn-, Schaul" —

„Na, Christoffer", fällt ihm der pausbäckige Brinksitzer Druwe aus
Wiedebeckc ins Wort, „da is nu wiedcr nix nich bi tau dhaun. Hasgen dhau
ick mick acwerst doch — hei hat't verdicnt, de olle Kanter, hei is doch
süs 'n oll prächtigen Minschen. Dörtig Johr is hei nu all in Fichtenhagen
Kanter, Jedrvcrein kennt 'n!" . . .

Oben im Turm dcn lctzten Zug am Strick der kleinen Glocke hat der
Fichtenhagcncr Knntor Johannes Conring gethan. Jn Fichtenhagen ist der
Kantor auch Küster, und so hat er denn Sonntags einc halbe Stunde vor
Beginn dcs Gottesdicnstes die klcine Glocke zu läuten. Töng, töng, — töng!
noch drcimal hat dcr Klöppel im Ausschwingen angcschlagcn. Jn tiefes
Schiveigen hüllt sich wicdcr das alte verwitterte Gotteshaus. Um den plumpcn
viereckigen Turm und scin stumpfes Ziegeldach schietzen unaufhörlich eilige
Schwalbcn hin und wieder in weitgeschwungenen Bögen. Einzig das Flattern,
Picpcn und Schirpen zahlreicher Sperlinge und Sprehen unterbricht die sab-
batliche Stille. Jm hochgiebeligen Dach über dem langgestreckten Hallenbau
aus groben Feldsteinen und Füllziegeln haben die Sperlinge und Sprehen
eine ungeheure Kindcrstube. So ost die Alten mit Atzung herangeflogen kommen,
fangcn die nimmersatten Schluckhälse im Nest gar beweglich zuzirpen an.

Ans mittlere grotze Schallloch vorn unter der Uhr, die in Fichtenhagen
mit nur eincm Zeiger auskommt, schreitet vorsichtig auf schmankem Brett der
alte Kantor. Gelehnt an einen Glockenstuhlbalken, schaut er regungslos
lange hinaus.

Sein Antlitz ist tief gerötet, die Augcn leuchten, hcitz geht ihm der
Atcm. Übcr scinem Haupte hängt dic grotzc Glocke in ihrem lustigcn Stuhl,
aus vielfach eiscnbeschlagcnen Eichcnstümmcn roh gezimmert. Wie kralligs Ge-
spensterarmc greifen die Trittbrettcr an der Glockenkrone weit aus in die Luft.
Einem an der Mutter schutzsuchenden Kinde gleich schmicgt sich die kleine
Glocke an die grotze. An eincn Haken unten im Stuhl hat der Kantor der
kleincn Glocke langen Läutestrick sorglich wieder festgebundcn. Jn die Zweige
der uralten Linde vorm Turm auf dem Kirchhofe versenken sich seine Blicke,
wie cr so zum Schallloch hinausschaut. Die Linde ist so alt wie die Kirche.
Jn lustigem Taiimel, wic Schneeflockenwirbel, umsummen nun zahllose Bicnen
die blühenden, köstlich duftenden Zweige: ein ununterbrochen leis geheimnis-
voll fortklingender Naturakkord, eigen fcierlich, tönt das Summcn ins Schall-
loch. Des alten Manncs Augen folgen den mit vollen Höschen Heimcilenden
llbcr den Zaun und sein Spiräengebüsch hin, in dcn Schulgarten hinein. Wie
oft und gcrn Conring in seinem Bicnenzaun verweilt — mancherlei hat ein
Bicnenvater nn den Körben immer zu thun! Weiter auf sein sauber bestelltes
Gärtchen, auf scin Schnlhaus gleitet sein Blick. Aus den holzverschalten
Wändcn, bis in den Giebclwinkel hinauf mit Epheu berankt, lachen ihn
blank und hell die Fenster an. Sein Kopf wendet sich dem nahen Friedhofe
zu. Hier die Traucresche vorn an der Mauer — cr kennt sic nur zu gut.
Lange schaut er gedankenvoll anf die schwankcn, tiefhcrabhängenden Zweige.
Wie schön dcr Fichtenhagener Friedhof licgt! Auf einer Anhöhe: hinab auf
 
Annotationen