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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,1.1897-1898

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Heft 7 (1. Januarheft 1898)
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Avenarius, Ferdinand: Vom freien geistigen Schaffen
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Bartels, Adolf: Sensationsliteratur
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https://doi.org/10.11588/diglit.7955#0222

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Staat läßt die Leutc, die an der kultusministeriell zitierten „großen
Lebenskette" schmieden könnten, ruhig dem Brote zu Liebe Hufe beschlagen.
Nicht einmal die Dichterpensiönchen bringt er auf, die doch Dänemark
und Norwegen, die Kleinen, erübrigen können, um gute Köpfe in ihrem
eigenen, d. h. im Jnteresse der Allgemeinheit, vor der Frohne
zu retten. Wo sind auch nur Preise auf gediegene Werke der Literatur,
Verzweifelnde zu ermutigen, „trotz alledem" nicht der bezahlenden Masse
sondern den Wenigen zu dienen, die Führer werden können in ein
besseres Land? Wo wir etwas dergleichen haben, wie bei derSchillerstiftung,
ist es so verwaltct, daß der Fürst die Beschlüsse der Sachverständigen
einfach umstoßen kann, wenn sie seiner Privatmeinung nicht entsprechen.
Wo sind Stiftungen, die durch Verteilung besserer Bücher, wo Staats-
büchereien, die wenigstens durch Ankauf für sich in einigen Dutzenden
von Exemplaren ernster dichterischcr Werke ein paar „Steine aus dem
Weg" räumten? Wo sorgt man dafür, daß sich die höheren Schulen
mit der Literatur der Gegenwart beschäftigen, um ein Geschlecht heran-
zubilden, das von der Wechselwirkung zwischen Schrifttum und Leben
ein Weniges mehr ahne? Wo fördert und fordert man in der soge-
nannten osfiziellen Gesellschaft Verständnis für jene „geistige Herrlichkeit",
während Minister und Geheimrnte in Reichstag und Abgeordnetenhaus
unausgelacht über unsre bcsten Geistcr wie Dandies rcden dürfen? An
Männern wic Bosse liegts nicht, aber wahr bleibts doch: unser Staat,.
der jedem „produktiven" Stande zu helfcn sucht, thut für den geistig
produktiven Arbeiter nur dann etwas, wenn er sich der von diesem.
Kultusminister so gerühmten Freiheit durch Eintritt in irgend ein Amt
begibt. Er wird eben von Leuten regiert, die in ihrer Mehrheit
über den Wert jener „geistigen Herrlichkeit" anders als der Herr Kultus-
minister, oder auch gar nicht denken.

Aber halt — bleiben wir gerecht: Einiges thut auch unser Staat
ja doch. Er ernennt z. B. einen alten Herrn zum „Professor". Was
denn der gute alte Herr auch annimmt. — Jst das des bctreffenden
Herrn Privatsache, so zeugt es doch von einer allgemeinen Erscheinung^
über die wir das nächste Mal sprechen müssen. A.

Lensationsliterlltur.

Es gibt auch cino künstlerische Scnsationsliteratur. Jn dicsem Fall^
fitzt das Scnsationsstreben schon in den Nerven dcs Künstlers, ist seincm Ta-
lent inhärcnt und beeinflußt sein Schauen nnd Gestalten fast, ohne daß ers weiß.
Ein gntes Beispiel cines solchen Scnsationskünstlers ist Johannes Richard
zur Megede, von dem in diesem Jahr der Roman „Unter Zigcnncrn" und
ein Novellenband „Kismet^ (Dcutsche Verlagsanstalt, Stuttgart) erschienen
sind. Man hat zur Megede mit Sudcrmann verglichen, ja, ihn über Sudcr-
mann gestellt, er ist auch wohl eine feinere Natur als dicscr, aber als Talent
doch kaum mit ihm zu vergleichen. Seine eigentliche Domäne wird immer dcr
Unterhaltnngsroman sein, dcr feincrn aristokratischen Richtung, den Blätter, wie
 
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