Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,1.1897-1898

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarhfet 1898)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7955#0277

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Jlonka rechts und Florian links unter den Arm und begann so mit ihnen auf
und ab zu ivandeln.

„Jhr kennt euch schon, ihr beiden; hab' gehört — weiß alles, haha! Jch
habe etwas mit euch im Sinne: ihr sollt einander — hm — ergänzenl" Er
lachte vergnügt und tätschelte ihnen beiden die Hand.

Dann suhr er also sort: ^l^issäron)'! Lactacs Ilovüa, Aalambom, ist ein
kleiner Satan — das höllische Feuer schlägt ihr manchmal zu allen Poren
hinaus — da soll unser Sankt Florian etwas Wasser hineinschütten, haha l
und mein Täubcken, mein höllischeS, soll den Sankt Florian ein wenig warm
machen, damit er mir menschlicher wird. Habt ihr dns kapiert?"

„Iawohl, Maister, versteh' ich ausgezaichnet," ricf Jlonka mit lcuchten-
den Augen, und dabei wippte sie auf den Zehcnspitzen und breitete di? Arme
aus, als wollte sie gerne einen Kuß haben.

Der Meister winkte ihr lächelnd ab. „Nein, ncin; heute nicht: erst ver-
diencn! Jch will sehen, ob ihr der Sankt Florian gut bekommt!" llnd dann
wcndcte er sich dicscm zu, reichte ihm die Hand und sagte: „Wcnn es dir
Frcude macht, mcin Licber, so kannst du jeden Morgen um acht Uhr zu mir
kommcn und mir bei meiner Arbeit holfen!"

Florian hätte aufjauchzen mögen über diese Auszeichnung, und er bcugte
sich rasch über die güiige Hand des verehrtcn Meisters und küßte sie. Die
beiden waren für heute entlassen.

Lebende IVsrte.

(„Po etis ck.") Jch hatte mir, ohne zu wissen wann und wie, angewöhnt,
allcs, was ich in Lcben und Kunst als brauchbar, gut und schön besand,
poetisch zu ncnncn, und selbst die Gegenstände meines erwählten Berufes,
Farbcn und Formen, nannte ich nicht malcrisch, sondern immer poctisch, so gut
wie alle menschlichen Ereignisse, welche mich anregend berührten. Dies war
nun, wie ich glaube, ganz in der Ordnung, denn es ist das gleiche Gesetz,
welches die verschiedencn Dinge poctisch oder der Widerspiegelung ihres
Daseins wert macht; aber in Bezug auf manches, was ich bisher poctisch
nannte, lernte ich nun, daß das Unbegreisliche und Unmögliche, dns Aben-
teucrliche und Ueberschwengliche nicht poetisch sind und daß, wie dort die Ruhe
und Stille in der Bewegung, hier nur Schlichtheit und Ehrlichkeit mitten in
Glanz und Gestaltcn herrschen müssen, um ctwas Poetisches oder, was gleich
bedcutend ist, etwas Lebendiges und Vernünftiges hervorzubringen, mit einom
Wort, daß die sogenannte Zwecklosigkeit der Kunst nicht mit Grundlosigkeit
verwechselt wcrdcn dars. Dies ist zwar eine altc Geschichte, indcm man schon
im Aristotcles crsehen kann, daß scinc stofflichen Bctrachtungen über dir
prosaisch-politische Nederunst zugleich die besten Nezepte auch für don Dichter sind.

Denn wie es scheint, geht alles wichtige Bestreben auf Vercinfachung,
Zurücksührung und Vereinigung des scheinbar Getrenntcn und Verschiedenen
auf Eincn Lebensgrund, und in diesem Bestreben, das Notwendige und Ein-
sache mit Kunst und Fülle und in seinem ganzen Wesen darzustellen, ist Kunst;
darum unterscheiden sich die Künstler nur dadurch von den anderen Mcnschcn,
daß sie das Wesentliche gleich schen und es mit Fülle darzustellen wisscn,
währcnd die Andercn dies wieder crkennen müssen und darübcr erstaunen, und
darum sind auch alle die keine Meister, zu deren Verständnis eS einer be-
sondcren Geschmacksrichtung oder ciner künstlichen Schule bedarf.

Gottfried Keller, Grüner Heinrich, I, S. 8.
 
Annotationen