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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,1.1897-1898

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Heft 9 (1. Februarheft 1898)
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Bartels, Adolf: Hermann Bahr, der Kritiker
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Hartig, Julius: Sudermanns "Johannes" und die Theaterkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7955#0291

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beschieden war. Kaum mochten sie der eigenen Zeit genügen, und welcher Glanz
ruht auf diesem Namen heute noch." Und weiter: „Sein weiches, srauenhafteS Na-
turell befähigt den Oesterreicher von vorneherein vor vielcn andern, die Seele
Eines Kunstwerks rein in sich aufzunehmen und in getrcuer, lebhafter Schilde-
rung wieder aus sich herauszustellen. Gesellt sich dazu der nötige breite Fond
von Kenntnis, so muß der klassische Typus des Kritikers entstehen, und
so tritt Hermann Bahr würdig an die Seite seiner Landsleute Scheerer, HanS-
lick und Speidel. Allwöchentlich slattern seine Gedanken durch die Monarchic
und crregen Bewegung und Unruhc in dem trägen Karpfenteich des geistigen
Oesterreichs. Und jedes seiner Worte wird von den jungen Leuten in Wien
und in der Provinz als »gute Botschaft« begrüßt und bedacht, und sie sind ihm
alle von Herzen gut. Sie ehren und lieben ihn als den bcrufenen ersten Hüter
Les guten ästhetischen Geschmacks in ihrem Vaterland; er verteilt die Parolcn
und richtct ihncn die Statuen dcr Künstler und Philosophen auf, zu deren
Mßen sie sich lagern."

So also steht's? Dann will ich meine innerste Meinung auch nicht
längcr zurückhalten: Hermann Bahr ist mir der österreichische Paul Lindau, Paul
Lindau reäivivus, und zwar sowohl als Produzent wie als Kritiker. Wie dicser
hat er den vielen »Geist", wie dicser schaut er nach Paris und ewig nach Paris,
wie dieser hat er seiner Zeit die alten Größen lächerlich gemacht, wie dicser
versucht er ewig neue Wandlungen, um interessant zu bleiben, wie dieser ist er
in seinen ästhetischen Grundanschauungen flach und unklar, wenn auch im ein-
zelnen immerhin geschciter, feiner, „anschmiegsamer", als sein Vorgänger. So
hat die deutsche Kunst von seiner gesamten Thätigkeit nur das Schliminste zu
erwarten, selbst, wenn er einige junge Begabungcn fördert. Die Herrschaft
Lindaus und der Seinen von Berlin aus hat das deutsche Theater und zum
größern Teil auch die deutsche Presse für zwei Jahrzchnte gründlich ruiniert —
ich denke, wir haben allc Ursache aufzupassen, daß uns das, nachdem wir uns
kaum etwas erholt haben, nicht von Wien her zum zweiten Male geschieht.

Adolf Bartels.

Sudermgnns „Aobnnnes" nnd die rldenteclrunst.

Meine Bekanntschaft mit Sudermanns „Johannes" ist nun schon acht
Tage alt. Und eine so furchtbar lange Zeit hält bei mir die Teilnahme für
die „Poesie des Theatcrs" selten — höchst selten an. Der Wüstenprediger von
Berlin W. ist mir inzwischeu so glcichgiltig geworden, daß ich wie der Grabbe-
fche Dichtcr an meiner Fcder kaue, „gleichwie der Löwe, wenn der Morgen
grauet, am Pferde, seincr schnellen Feder kauct", und kaum weiß, ob sich darüber
noch zu redcn lohnt. Ein Theaterstückl So im ersten Ansturm der Eindrücke
falle ich ja leicht immer wieder in sühe Jugendeseleien zurück und nehme das
Theater ernst, — schrecklich ernst und phantasiere von all dem Hohen und
Schönen, zu dem es berufen sein sollte. Aber warum sollte? Mit dem-
selben Rechte, mit dem ich von dieser allgemeinen Schaustätte verlange, daß eZ
ein „Tempel der Lkunst" sei, kann ich auch von einem Berlincr Ball-und Tanz-
lokal fordern, daß cs die weibliche und männliche Jugend zur Sittlichkeit und
zum Kirchenbesuch erziehe. Es thut's ja doch nicht. Es lacht mich aus. Was
ist das Theater? Mit dem Posten will gerechnet sein. Wir, die wir die
Dichtung suchen, die grohe ästhetische Erziehung und Bildung des Menschen-
 
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