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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,1.1897-1898

DOI Heft:
Heft 12 (2. Märzheft 1898)
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Avenarius, Ferdinand: Variété
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https://doi.org/10.11588/diglit.7955#0379

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Variete.

„Das ist zweifellos, und darüber können alle Philister von Europa
nicht hinweg: hcute ist das Varietö-Theater obenauf." Mit diesen
Worten stimmte jüngst die „Jnternationale Artisten-Zeitung" einen ein-
leitenden Jubelgesang an. Hat sie mit ihrer Behauptung Necht? Wir
glauben ja, denn mit dem nötigen Salz darauf läßt sich ihre Begrün-
dung schon annehmen: »Die Schauspiel- und Opernhäuser sind leer und
süllen sich nur einigermaßen, wcnn dem Publikum ctwas geboten wird,
was eigentlich mit dem Schauspiel uud mit der Oper weniger zu thun
hat, ein Star". Aber das ausfälligsie ist gar nicht der Zustrom von
Menschen zu den Variötebühnen, sondern: daß sie jetzt ein Jntercsse
wenigstens in einzelnen Fällen doch auch bei Gebildeteren, bei künst-
lerisch Gebildeten ofsen eingestandener Maßen erregen. Früher näm-
lich schämte man sich in „besseren Kreisen" etwaiger Teilnahme für solche
Sachen. Aber zum mindesten die Loie Fuller und die Ioette Guilbert,
die jetzt in Deutschland austreten, werdcn mit der gewöhnlichen Verach-
tung des „Tingeltangels" nicht abgethan. Zudem weist schon seit längerer
Zeit unsre bildende wie unsre dichtende Kunst unverkennbar Elemente
aus, die aus dem Variötö stammeu.

Was verstehen wir denn unter „Variote"? Oskar Panizza hat
vor anderthalb Jahren eine Studie über „den Klassizismus und das
Eindringen des Variete" veröffentlicht, in der er dieses, als „die abso-
lute Naivetät in der Anwendung der Kunstmittel" bezeichnete: „es ist
die unverblümteste, weil gar nicht überdachte, Verweudung von Schminke
und Puder, von Lippenrot und Wimperschwarz, von Bauschröckchen und
Trikots — ich rede bildlich — und dic hellste Freude, der kindlichste
Enthusiasmus und das reinste Entzücken über den Erfolg — komm er,
woher er wolle". Das ist sicherlich zutreffend, aber wir möchten sür
unsere heutige kleine Betrachtung den Begriff weiter nehmen. Auf den
Variötöbühnen treten auch Leute auf, wie sie ehedem auf dem Tanzseil
über den Marktplatz balanzierten oder in der Menagerie oder iin Affen-

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