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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,1.1897-1898

DOI issue:
Heft 12 (2. Märzheft 1898)
DOI article:
Schultze-Naumburg, Paul: Ueber Kunstpflege im Mittelstande, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7955#0394

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nicht begreifen konnte, hat rnan angefangen, fich die Natur auf diese
Farbcn hin doch noch einmal anzusehen. Zuerst auf Reisen. Und siehe
da: so ganz Unrecht hatten die verrückten Maler am Ende wirklich
nicht. Es hat Stunden gegebcn, in dencn alle Farben glühtcn, wie
man's den Bildern nicht glauüen wolltc, und dann wiedcr cinnral haben
alle Schatten blau ausgesehcn. Und wundcrbar weit und scltsam dnzu
ist's in dcn Bergen gewesen; man hat eine Glücksempfindung dabei ge-
habt, die man noch nicht gekannt, von der man cin Stück mit nach
Haus gebracht, und die gewisse Bildcr gewisscr Maler zurückzuzaubcrn
vermochten. So geht's langsam weitcr. Mit der ermachten sinnlichen
Lust an schünen Farben hat man durch Zufall die Entdeckung gemacht,
daß man, um solche in der Natur zu sehen, gar nicht bis zur Sommer-
reise zu warten brauchte. Die alte Stadt hat neulich ein Gesicht gemacht,
wie man noch nic zu sehen gemeint; als die Sonne gestern auf dem
frischgefallenen Schnee funkelte, war der nicht weiß, sondern rosenrot und
blau, und das Fell eines ganz ordinären Droschkengauls hat in Farben ge-
leuchtet, wie man's solch einfachen Dingcn gar nie zugetraut. Schließ-
lich erwacht man eines Tages als Kunstfreund (traurige Zeit, in der
das eine bcsonderc Spezies des Mcnschen bcdcutet!), — aber nun wciß
man nicht, wie man diese Freundschaft an den Mann bringen soll.

Um den Anfang zu machen, geht man einmal zum Antiquar und
ersteht dort einen alten Schrank, mit dem man schon cine Weile gelieb-
äugelt hat. Jetzt steht der nun schon eincn Monat in der Wohnung.
Da wird eine dunkel gehegte Frage heller: paßt jetzt der Schrank nicht
in die Einrichtung odcr paßt die Einrichtung nicht zum Schrank? Einen
rechten Akkord, jedenfalls, gibt's nicht. Man erkennt langsam die selbst-
sichere Solidität jenes alten Gebäudes von Mobel und das papperne
Scheinleben der neuen zusammengeleimten Tischlerware. Man geht zum
Bildersammeln über. Bilder sind ja oft nicht so teuer, mie man ge-
glaubt, man hängt sie an die Wand und hat eine zeitlang seine Frende
daran. Aber dann taucht dieselbe Frage vor einem auf: passen jetzt
die Bilder nicht in die Nmgebung odcr paßt die Umgebung nicht zu den
Bildern?

Und so laboriercn und probieren so Viele mit ehrlichem Bemühen,
ohne doch rechten Erfolg zu haben. „Es muß doch cntsetzlich verzmickt
sein, eine befriedigende Wirkung zu erzielen", denkt man; „gemiß kann
es nur der Neiche, der sich überall kostbare und an sich durchs Material
schon schöne Sachen kaufen kann!" Dcnn trotz mannigsacher Ausgaben
und Versuche ist cs nicht geglückt, ein Haus zu schaffen, desscn „Luft"
schon künstlerisches Empfinden atmet.

Das ist kcin Wunder. Das Haus wird d i e Atmosphäre haben,
die den Bewohnern eigen ist, und ich kann kein Rezcpt geben, wie man
eine solche künstlcrische Natur in ein Haus hineinbringt- Wie man's je-
doch anfängt, sich das nötigc Kunstempfinden zu crwerben und besonders:
wie die Nutzanwendung dann sür die Umgebung, in unserem Falle also
sür die Wohnung ist, das will ich zu schildern versuchen.

Daß man nicht mit abstrakten Kunstwerken die Neformation be-
ginnen darf, davon sprach ich schon. Zur inueren Weiterbildung, natür-
lich, dazu taugen solchc, abcr ein geschmackloses Haus — und das sind
unter hunderttausend neunundneunzigtausendneunhundcrtneunundncunzig

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