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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 11,1.1897-1898

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Heft 12 (2. Märzheft 1898)
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Vom Tage
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ständnis für ein guies Zusainmenspiel,
wic vicle Uebcrtreibungen auch im
einzelnen mit unterliefein Und schließ-
lich dnrf dem Hcrzog nicht vergcsscn
iverdcn, datz ivir scincm Eintreten dic
crste Bekanntschaft auch mit cinigcn
bedeutcnden inoderncn Dramen voll
freiheitlichen Gcistcs verdanken. Wir
sehen hcut über manche Forderungcn
des Theaters klarer, als man vvr
zivanzig Jahrcn sehcn konnte, aber „dic
Mcininger" haben dcn besten ihrer
Zeit genug gethan, und deshalo in
der That „gelebt für alle Zeiten."

rnusik.

* Jm Gürzenich zu Köln brachte
Wüllncr den „Don Quixotc" von
Nichard Strautz zur crsten öffent-
lichen Aufführung. „Jn Bariationen,
sv versichcrt uns der umfangreiche er-
läuternde Text (Vcrlag von H. Bech-
hold, Frankfurt a. M.), sci das Erdcn-
wallen Don Qnixotes musikalisch
vcranschaulicht ivorden. Nun ivird
man ja die Lcitmotive des Nitters
nnd feines Knappen überall sonder
MLHc herauserkennen, mit der hcr-
lüminlichcn Variationsform hat das
Werk kaum mehr als dcn Namen ge-
mcin. Dagcgen cntciutzert sich Strautz
>n kcineni seincr vorangchendcn Werke
so schr der musikalischen Folgerichtig-
keit, nirgcndivo so sehr ivie hier lätzt
er dcr phantastischcn Willkür die Zügcl
schietzcn. Er kann sich dabci allcrdings
auf den crsten Teil seines Scheins be-
rufen, der dem Nitter das Horoskop
stellte: Klug im Tod, verrückt im
Leben. Abcr in diesen Wahnsinn, den
ivir unbcdcnklich dem musikalischcn
Humor als stofflichcn Vorwurf ein-
räumen, bcsondcrs eincm Meister wie
Strauh gcgenüber, hat dicser doch zu
wenig Methodc hineingclcgt, es fehlt
dcm Ganzen an dem Zusammenhang,
an dcr stetigen Entwicklung, dio auch
der kcckstcn Bizarrcric noch zu cigen
scin muh, sollcn wir eincn noch irgend-
wie ästhetisch gcarteten Eindruck da-
vvn empfangcn. Statt dcssen hcrrscht
die thcmatische Kniffelci und eine
wahre Wollust an der Tonmalerei.
Wir lcgen den Akzent mehr auf dcn
zweiten Umstand. Dcnn die Umgc-
staltungen und Verkettungen seiner
Themcn sind nicht so kraus, datz sic
dcr aiifmerksame Hörer nicht entwirren
und mit Ergötzen verfolgen könnte.
Doch schon dcr Natur der meisten
Themcn haftet das an, was Nösch in

scinen Bemcrkungen zu Bülows Briefen
in Bezug aus die Brahmsschcn Thcmen
„blutlccr" genannt hat, sic sind mchr
crdacht als empfundcn, mehr ertüftelt
als erschaut, nnd dcswegen fehlt ihrer
Charaktcristik die unmittclbare Ucber-
! zcügungskraft, die wir im Eulen-
spiegel weit stärker empfanden. Wir
müssen nns crst auf das dem Thcma
! zugrunde licgcnde reale Vorbild be-
sinnen, uni auszurufen: Hm, sehr
treffend! Dieses Manövcr, unserer
Tonanschauung durch dcn abwägendcn
Vcrstand zu Hülfe zu kommen, setzt
sich aber in verstärktcm Grade bei den
Tomalercicn fvrt. Man mag scincn
Don Quixote noch so fest im Kopfe
haben, und inan wird doch, wenige
Anlüssc ausgcnommen, nirgendwo ohne
denAriadncfaden derunausgesetztenEr-
läuterung mit apodiktiscber Gewihheit
die Musik auf die durch sie gcschilder-
tcn Vorgänge bczichen könncn. Nun
ist es cin grotzer Unterschied, ob der
reale Vorgang den Komponistcn zu
eincm in sich abgerundeten und musi-
kalisch gesetzmützigen Tonstück anregt,
ja noch weitcr, ob dieser Vorgang
derart ist, datz cr die musikalisch ge-
setzmätzige Schilderung verträgt, oder
ob der Komponist den crstbestcn Vor-
gang ohne NLcksicht auf scine Auf-
saugungsmöglichkeit durch Musik ein-
sach dcr Wirklichkeit musikalisch nach-
schildert. Jm erstcn Falle bedarf cs
nur cincr allgemcinen Jnhaltsangabe,
um in dem Hörer dcn Jdeenkreis zu
erwccken, in wclchem daS Tonstück
einherwandelt. Jm zweiten Falle ist
dcm Hörcr cinc sortdauernde Bcvor-
mundung durch das erlüutcrndc Pro-
gramm vonnüten, das ihm in jedem
Augenblick sagt: hier schläft Don
Quixote ein, hicr empört sich scin
ritterlich galantcr Sinn u. s. s. Es
licgt auf dcr Hand, datz diese Not-
ivendigkcit, sich in jcdem Augenblick
bclchren zu lasscn, jedc Unmittelbar-
keit dcs Gcnictzens zerstört. Diese
wird abcr weit besser crrcicht, wenn
in jedem Augcnblick der veranschau-
lichte Vorgang dem Zuhörer sichtbar
gcmacht wird, und so könnte man
ohnc Uebertrcibung sagcn: diese Musik
schreit nach dcm Kincinatographen.
Ein Musiker von Einsicht hat einmal
Strautz als das grötzte reproduktive
Talent der Gcgcnwart bezeichnet. Man
kann seine Geschicklichkeit, das ihm
überkoinmene Nüstzeug an thematischer
und instrumcntaler Kunst neuzuformen
und umzumodeln, dreist als genial

ZS?
 
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