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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,1.1910

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1910)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9031#0178
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Orchesterkonzerte entschließen, ein-
mal — sagen wir: Bruckner sozu-
sagen im Vollbild vorznführen und
seine neun Shmphonien der Reihe
nach zu bringen? Was für ein
Unternehmen eine Unmöglichkeit,
weil Einseitigkeit wäre, können alle
drei zusammen immerhin leisten.
So ließe sich auf dem Wege der
Vergesellschaftung nicht nur viel
Gutes stiften, sondern auch mancher
Nachteil des heißen Wettbewerbs
mildern, wenn nicht gar zum gegen-
seitigen Vorteil umwandeln. Auch
die Wiederbelebung älterer Musik
könnte viel durchgreifender erfol-
gen, wenn sich die Vereine usw.
im Einverständnis in die tzände
arbeiteten, um in reicher Mannig-
faltigkeit ganze geschlossene Aus-
schnitte aus der Musikliteratur zu
bieten, wo man sich bisher mit ver-
einzelten, zufälligen, zusammen-
hanglosen Kostproben begnügen
mußte. Ich verkeune durchaus nicht
die Schwierigkeiten dieser Ver-
ständigung, die Intrigen, Gehäs-
sigkeiten, Hader, Sezessionen aller
Art nicht nur überwinden müßte,
sondern auch wieder erzeugen kann.
Aber welche Einrichtung wäre so
vortrefflich, daß sie unabhängig wäre
vom Allznmenschlichen? Die Ver-
HLltnisse drängen zu einer solchen
Organisation. R. Batka

Gustav Mahlers Lieder

sind für seine Symphonien, etwa
so wie die Sonaten Beethovens für
Beethovens Symphonien, die gün-
stigste Vorbereitung für den Laien.
Wer in Mahlers Liedern heimisch
geworden ist, wird seine Shmpho-
nien, nicht nur wegen der öfter
vorkommenden Selbstzitate, bald
gefühlsmäßig erfassen können.

Unter den Liedern Mahlers brin-
gen die bereits s882 (vor 27 Iahren!)
komponierten „Lieder eines fahren-
den Gesellen" (Weinbergers Verlag

in Wien), deren Dichtungen von
Mahler selbst herrühren, die Eigen-
art des Mahlerschen Liedes schon
ganz deutlich zum Ausdruck. Es
sind „Lieder". Noch unmittelbarer
als bei Brahms wird man ständig
an das Volkslied erinnert, und das
weitere Schaffen Mahlers hat ge-
zeigt, daß nicht eine Mode, sondern
innere Verwandtschaft, inneres Be-
dürfnis ihn diesen Weg gehen ließ.
Es handelt sich keineswegs um Imi--
tationen, sondern um einen not-
wendigen Ausdruck dessen, was dem
Komponisten überhaupt Musik ist.
Und Musik ist ihm klingendes, nur
in Klängen, in Lönen ausdrück-
bares Lmpfinden und Lebensgefühl,
mit größter Unmittelbarkeit Ton
gewordenes Innenleben. Schlicht-
heit, Tiefe und Gewalt des Füh-
lens hat aber kaum je so uner-
meßlich reichen Ausdruck gefunden
wie im Volkslied. Man darf wohl
sagen, noch mehr dichterischen als
musikalischen. So versteht sich's
ganz von selbst, daß es einen Men-
schen mit der Leidenschaftlichkeit und
Naivität alles Erlebens wie Mah-
ler dazu förmlich zwingen mnßte,
dichterischen Gebilden wie sie „Des
Knaben Wunderhorn" in Fülle
birgt, das entsprechende musikalische
Gewand zu geben. Es ist jetzt
Mode geworden, Wunderhornlieder
zu komponieren, und wir haben
bereits eine Menge robuste und
parfümierte Salonmusiken zu
Wunderhorntexten. Die Wunder-
hornlieder Mahlers (zwei Hefte bei
Schotts Söhne, Mainz, drei Hefte
bei Ioseph Weinberger, Wien, ein-
zelne bei C. F. Kahnt Nachf., Leip-
zig) sind ganz andern Schlages.
Die einfacheren (die bei Schott) sind
in der Melodieführung zum Teil
die reinsten Volkslieder, in der
Harmonik ungemein natürlich und
in der Wirkung so stark, wie eben
nur ganz echte Sachen sein kön-

(H6 Kunstwart XXIV, 2
 
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