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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,1.1910

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1910)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9031#0410
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Lose Blätter

Aus zwei Nomanen von der alten und der neuen ZeiL

^Das ist irun für einen, Ler dem Heute vorbehalt- und fraglos angehört
und ein Lobredner der älteren Zeit schon darum nicht ist, weil er sie gar
nicht gekannt hat, ein ganz souderbares Thema moderner Romane:
wie die „neue Zeit", wie soziales Empfinden, demokratisierende und anti--
patriarchalische Lendenzen auf das Land hinaus kommen und dort mit
altüberkommenen Meinungen, Gewohnheiten und Verhältnissen unter
Erzeugung mehr oder minder schwerer Konflikte zusammentreffen. Da
aber patriarchalisches Wesen, aristokratisierende und unsoziale Lebensauf-
fassung ein recht beträchtlich Teil gut deutscher Tradition bedeuten, so ergibt
sich, wenn Strömung und Gegenströmung gleichermaßen gestaltet und
organisch Largestellt werden, für den realistischen Roman in der Tat
ein reiches und fruchtbares Feld stofflicher Ernte. Die beiden Poeten,
von deren Werken wir den Lesern diesmal Proben mitteilen, ziehen
jeder auf seine Weise Gewinn von solcherlei Zeitereignissen. Ewald G.
Seeliger, dessen umfänglicher Roman „Zurück zur Scholle" auf einem
schlesischen Rittergut spielt, Fedor Sommer mit seinem gedrängten („Die
Fremden") aus dem Schreiberhauer Teil des Riesengcbirges.

Seeligers „Held" (besser: Hauptmitträger der Handlung), ein aus
Amerika heimgekehrter adliger Majoratserbe, kommt nach Ablauf einiger
andrer Begebenheiten zu der Absicht, die Tochter seines Inspektors zu
seiner Frau und zur Mutter seiner Kinder aus erster Ehe zu machen,
dencn sie in liebevoller Sorge tatsächlich schon eine Mutter geworden ist.
Aber des Inspektors nach heutigem Gefühl überspanntes Standesempfinden
widersetzt sich ciner solchen nicht standesgemäßen Ehe, und sein hart-
herziger, schwerfälliger Eigensinn verhindert sie wirklich zunächst (die
entscheidende Szene finden die Leser unten abgedruckt). Datz Inspcktor
Knorreck so unmittelbar zum Tode Fritz von Winkelbergs Anlaß gibt,
dessen Lebenskräfte infolge der Enttäuschung und Vereinsamung seiner
ererbten Winkelbergschen Herzkrankheit nicht urehr widerstehen können,
das erst läßt ihn sein Unrecht einsehen. Da es zu spät ist, siegt die
neue Zeit. Gerade August Knorreck wird nun durch Testament der Vor-
mund der Kinder des Barons und der herrschberechtigte Verwalter des
Majorats. Hedwig, seine Tochter, wird zwar nicht „Baronin werden",
bleibt aber immerhin die dominierende weibliche Persönlichkeit auf dem Gut
und wird allmählich durchaus die Mutter der Kinder und Erben werden.

Dieser Handlung laufen allerlei andre Entwicklungen parallel. Ein
köstlich mit Humor und ebenso feinen wie tieferschauten Zügen dar--
gestelltes Schulmeisterlein bcginnt sein Amt zu Anfang der Geschichte in
Britzkawe mit frohem Mut, mit Liebe und Güte, mit Lust vor allem an
jeglichem Wesen der Natur und mit pädagogischen Tendenzen, so denen
einer wohlweisen Kollegenschaft und einer königlich prcußischcn Regierung
durchaus zuwiderlaufen. Dieser heitere Revolutionär ist abermals ein
Vertreter moderner humanisierender und individualisierender Anschau--
ungen; er nimmt, nachdem er eine Anzahl Perücken ins Wackeln gebracht,
mit seinen Kollegen es gründlich verdorben aber auch das Herz eines
alten feinen Regierungsmannes gewonnen hat, den Abschied und dafür

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