48
Die Stechkunst in'Deutschland bis auf Dürer.
Platte zu verbinden. Die Retouche, dieses künstlerisch ver-
werfliche Mittel, die Haltbarkeit der Platte zu verlängern, das
schon seinen Vorgängern bekannt war und von seinen Nach-
folgern noch viel mehr angewandt wurde, scheint Dürer
grundsätzlich verschmäht zu haben. Selbst nach seinem Tode
wagte es keine fremde Hand, die noch lange immer wieder
abgedruckten Platten des Meisters durch Aufstechen zu ver-
schlimmbessern.
Auf neue Ausdrucksmittel sinnend und vielleicht auch im
Streben, die langsame Arbeit des Stichels durch ein schneller
Albrecht Dürer: Die Madonna mit der Birne (Ausschnitt).
förderndes Verfahren zu ersetzen, stellt Dürer zwischen 1510
und 1516 eine Reihe technisch-künstlerischer Versuche an. Zu-
nächst greift er zur Schneidenadel, die vor ihm jener rätselhafte
Meister von 1480 in so köstlicher Weise gehandhabt hatte.
Das erste, lediglich mit der kalten Nadel ausgeführte Blättchen
Dürers ist die kleine, nur in zwei Exemplaren auf uns ge-
kommene Veronika mit dem Schweifstuch (Dresden, Albertina)
von 1510, welcher 1512 der Leidende Heiland (B. 21) und gleich-
zeitig der grofse hl. Hieronymus am Weidenbaum folgt. Im
Letzteren hat Dürer der Schneidenadel, die er mit der Freiheit
des Zeichenstiftes handhabt, den höchsten malerischen Reiz
abgewonnen. Fast scheint er hier die stilistischen Schranken
der Kunst des XVI. Jahrh. zu durchbrechen und eine merk-
würdige Geistesverwandschaft mit dem gröfsten Meister, der
Die Stechkunst in'Deutschland bis auf Dürer.
Platte zu verbinden. Die Retouche, dieses künstlerisch ver-
werfliche Mittel, die Haltbarkeit der Platte zu verlängern, das
schon seinen Vorgängern bekannt war und von seinen Nach-
folgern noch viel mehr angewandt wurde, scheint Dürer
grundsätzlich verschmäht zu haben. Selbst nach seinem Tode
wagte es keine fremde Hand, die noch lange immer wieder
abgedruckten Platten des Meisters durch Aufstechen zu ver-
schlimmbessern.
Auf neue Ausdrucksmittel sinnend und vielleicht auch im
Streben, die langsame Arbeit des Stichels durch ein schneller
Albrecht Dürer: Die Madonna mit der Birne (Ausschnitt).
förderndes Verfahren zu ersetzen, stellt Dürer zwischen 1510
und 1516 eine Reihe technisch-künstlerischer Versuche an. Zu-
nächst greift er zur Schneidenadel, die vor ihm jener rätselhafte
Meister von 1480 in so köstlicher Weise gehandhabt hatte.
Das erste, lediglich mit der kalten Nadel ausgeführte Blättchen
Dürers ist die kleine, nur in zwei Exemplaren auf uns ge-
kommene Veronika mit dem Schweifstuch (Dresden, Albertina)
von 1510, welcher 1512 der Leidende Heiland (B. 21) und gleich-
zeitig der grofse hl. Hieronymus am Weidenbaum folgt. Im
Letzteren hat Dürer der Schneidenadel, die er mit der Freiheit
des Zeichenstiftes handhabt, den höchsten malerischen Reiz
abgewonnen. Fast scheint er hier die stilistischen Schranken
der Kunst des XVI. Jahrh. zu durchbrechen und eine merk-
würdige Geistesverwandschaft mit dem gröfsten Meister, der