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„Moora“ - Die „Biographie“ eines Mädchens aus der vorrömischen Eisenzeit
Die makroskopisch auffällige strähnige Längs-
streifung auf den Oberflächen der Knochen der
unteren Extremität (Noväcek et al. 2015) konnten com-
putertomographisch nicht an den Oberschenkelbei-
nen nachgewiesen werden (Missbach-Güntner et
al. 2015), wohl aber lichtmikroskopisch in Form einer
Hypervaskularisation der Knochenhautzone. Lichtmi-
kroskopisch hingegen ließen sich diese Veränderungen
an den Schienbeinen sicher belegen und deuten auf eine
chronische Periostreaktion hin, die nicht auf einen chro-
nischen Vitamin-C-Mangel (Skorbut), sondern wohlauf
eine chronische Infektionskrankheit zurückzuführen
ist (Verdacht auf Tuberkulose; Schultz et al. 2015).
In jedem Fall kann eine chronische Knochenhautrei-
zung im Sinne eines unspezifischen Stressmarkers bei
„Moora“ diagnostizieren werden, die sich aufgrund
ihrer Morphologie sicherlich noch nicht lange, also etwa
mehrere Monate vor dem Tode des jungen Mädchens,
ausgebildet haben dürfte (Noväcek et al. 2015).
Diese Beobachtungen stehen nicht allein und
werden durch weitere Krankheitsspuren ergänzt, die
ein bezeichnendes Licht auf den Gesundheitszustand
dieses Mädchens während der letzten Jahre und
Monate ihres kurzen Lebens werfen. „Moora“ litt
- wie es der morphologische Befund belegt (Gresky
et al. 2015) - an einer chronischen Entzündung der
Nasenhöhle, die sich besonders im Bereich der äuße-
ren Nasenöffnung und des Nasenhöhlenbodens
sowie seiner unmittelbaren Region manifestiert
hatte und die sich offenbar erst relativ kurzfristig,
das heißt wohl wenige Monate vor ihrem Tod, entwi-
ckelt hatte. Diese Annahme begründet sich auf den
guten Pneumatisationszustand der Mittelohr- und
Nasennebenhöhlenregion und auf das Fehlen jegli-
cher Entzündungsspuren in den Stirn- und Kiefer-
höhlen sowie in den Mittelohrräumen (Gresky et al.
2015; Missbach-Güntner et al. 2015), die bei einer
länger andauernden Entzündung - insbesondere in
der Vor-Antibiotika-Ära - sicherlich mit erkrankt
wären.
Möglicherweise besteht ein Zusammenhang
zwischen den in Form unspezifischer Stressmarker
nachweisbaren Veränderungen in der Periostzone
beider Schienbeine (Noväcek et al. 2015) und wohl
auch der Oberschenkelbeine, den Spuren einer
wohl chronischen Entzündung am linken Schul-
terblatt, den leichten Cribra orbitalia (Gresky
et al. 2015) und dem Auftreten der chronischen
Entzündung in der Nasenhöhle und ihrer nächs-
ten Region: Eine eventuell durch Mangelernährung
induzierte Schwächung des Immunsystems hätte
das Auftreten dieser Stressmarker begünstigen
können. Als weitere Ursache für die Schwächung
des Immunsystems käme eine schwere chronische
Infektionskrankheit in Betracht (z.B. Tuberkulose).
Tatsächlich wurden im Bereich der vorderen Schä-
delgrube grübchenartige, etwa sesamkorngroße
Impressionen beobachtet, die in den relativ stark
ausgebildeten Abdrücken der Hirnwindungen
(Impressiones digitatae) lokalisiert sind (Gresky et
al. 2015). Die Ausbildung der verstärkten Impres-
siones digitatae belegt eine Hirndrucksymptoma-
tik, wie sie bei verschiedenen Krankheitsprozessen
- insbesondere bei Hirnhautentzündung - zu finden
ist. Kleine grübchenartige Impressionen in den basa-
len Bereichen der inneren Schädeloberflächen sind
charakteristisch für eine Hirnhauttuberkulose im
Sinne einer Leptomeningitis tuberculosa (Gresky et
al. 2015; Schultz & Schmidt-Schultz 2015). Soweit
zu erkennen ist, bestand der chronisch-entzündliche
Prozess zum Todeszeitpunkt des Mädchens noch,
obwohl bereits Spuren einer Ausheilung in Form
einer Reduktion der entzündlichen Komponente
zu beobachten sind. Die am postcranialen Skelet
beobachteten Veränderungen (an beiden Schien-
und Oberschenkelbeinen, am linken Schulterblatt)
stehen möglicherweise mit den am Schädel diag-
nostizierten Krankheitsspuren in einem kausalen
Zusammenhang und verstärken den Verdacht auf
das Vorliegen einer Tuberkulose. Möglicherweise
ist dieser Prozess, dessen Verlauf sich im Vergleich
zu anderen Formen der Meningitis (z.B. bakterielle
unspezifische Hirnhautentzündung) vergleichsweise
lang hinziehen kann, ursächlich mitverantwortlich
für den Tod des Mädchens.
Obwohl an der Moorleiche zahlreiche Krank-
heitsspuren nachgewiesen werden konnten, bleibt
die eigentliche Todesursache weitgehend unbekannt.
Schlussfolgerungen und Bewertung
des Falles „Moora“
Das Leben des Mädchens „Moora“ war nicht nur
kurz, sondern auch entbehrungsreich und mit
Mühsalen verbunden. Wahrscheinlich wurde in
dieser Zeit von einer bäuerlichen Gesellschaft
gefordert, dass sich auch schon Kinder mit einem
hohen körperlichen Einsatz in der Gemeinschaft
bewährten. Im Falle des Mädchens aus dem Uchter
Moor handelt es sich sicherlich nicht um das übli-
che Krankheitsspektrum und somit den üblichen
Lebensablauf eines Mädchens der frühen Eisenzeit
Norddeutschlands. Ob die Krankheitsursachen und
die traumatischen Ereignisse, die zum größten Teil
in den letzten zwei Jahren ihres Lebens und zum
„Moora“ - Die „Biographie“ eines Mädchens aus der vorrömischen Eisenzeit
Die makroskopisch auffällige strähnige Längs-
streifung auf den Oberflächen der Knochen der
unteren Extremität (Noväcek et al. 2015) konnten com-
putertomographisch nicht an den Oberschenkelbei-
nen nachgewiesen werden (Missbach-Güntner et
al. 2015), wohl aber lichtmikroskopisch in Form einer
Hypervaskularisation der Knochenhautzone. Lichtmi-
kroskopisch hingegen ließen sich diese Veränderungen
an den Schienbeinen sicher belegen und deuten auf eine
chronische Periostreaktion hin, die nicht auf einen chro-
nischen Vitamin-C-Mangel (Skorbut), sondern wohlauf
eine chronische Infektionskrankheit zurückzuführen
ist (Verdacht auf Tuberkulose; Schultz et al. 2015).
In jedem Fall kann eine chronische Knochenhautrei-
zung im Sinne eines unspezifischen Stressmarkers bei
„Moora“ diagnostizieren werden, die sich aufgrund
ihrer Morphologie sicherlich noch nicht lange, also etwa
mehrere Monate vor dem Tode des jungen Mädchens,
ausgebildet haben dürfte (Noväcek et al. 2015).
Diese Beobachtungen stehen nicht allein und
werden durch weitere Krankheitsspuren ergänzt, die
ein bezeichnendes Licht auf den Gesundheitszustand
dieses Mädchens während der letzten Jahre und
Monate ihres kurzen Lebens werfen. „Moora“ litt
- wie es der morphologische Befund belegt (Gresky
et al. 2015) - an einer chronischen Entzündung der
Nasenhöhle, die sich besonders im Bereich der äuße-
ren Nasenöffnung und des Nasenhöhlenbodens
sowie seiner unmittelbaren Region manifestiert
hatte und die sich offenbar erst relativ kurzfristig,
das heißt wohl wenige Monate vor ihrem Tod, entwi-
ckelt hatte. Diese Annahme begründet sich auf den
guten Pneumatisationszustand der Mittelohr- und
Nasennebenhöhlenregion und auf das Fehlen jegli-
cher Entzündungsspuren in den Stirn- und Kiefer-
höhlen sowie in den Mittelohrräumen (Gresky et al.
2015; Missbach-Güntner et al. 2015), die bei einer
länger andauernden Entzündung - insbesondere in
der Vor-Antibiotika-Ära - sicherlich mit erkrankt
wären.
Möglicherweise besteht ein Zusammenhang
zwischen den in Form unspezifischer Stressmarker
nachweisbaren Veränderungen in der Periostzone
beider Schienbeine (Noväcek et al. 2015) und wohl
auch der Oberschenkelbeine, den Spuren einer
wohl chronischen Entzündung am linken Schul-
terblatt, den leichten Cribra orbitalia (Gresky
et al. 2015) und dem Auftreten der chronischen
Entzündung in der Nasenhöhle und ihrer nächs-
ten Region: Eine eventuell durch Mangelernährung
induzierte Schwächung des Immunsystems hätte
das Auftreten dieser Stressmarker begünstigen
können. Als weitere Ursache für die Schwächung
des Immunsystems käme eine schwere chronische
Infektionskrankheit in Betracht (z.B. Tuberkulose).
Tatsächlich wurden im Bereich der vorderen Schä-
delgrube grübchenartige, etwa sesamkorngroße
Impressionen beobachtet, die in den relativ stark
ausgebildeten Abdrücken der Hirnwindungen
(Impressiones digitatae) lokalisiert sind (Gresky et
al. 2015). Die Ausbildung der verstärkten Impres-
siones digitatae belegt eine Hirndrucksymptoma-
tik, wie sie bei verschiedenen Krankheitsprozessen
- insbesondere bei Hirnhautentzündung - zu finden
ist. Kleine grübchenartige Impressionen in den basa-
len Bereichen der inneren Schädeloberflächen sind
charakteristisch für eine Hirnhauttuberkulose im
Sinne einer Leptomeningitis tuberculosa (Gresky et
al. 2015; Schultz & Schmidt-Schultz 2015). Soweit
zu erkennen ist, bestand der chronisch-entzündliche
Prozess zum Todeszeitpunkt des Mädchens noch,
obwohl bereits Spuren einer Ausheilung in Form
einer Reduktion der entzündlichen Komponente
zu beobachten sind. Die am postcranialen Skelet
beobachteten Veränderungen (an beiden Schien-
und Oberschenkelbeinen, am linken Schulterblatt)
stehen möglicherweise mit den am Schädel diag-
nostizierten Krankheitsspuren in einem kausalen
Zusammenhang und verstärken den Verdacht auf
das Vorliegen einer Tuberkulose. Möglicherweise
ist dieser Prozess, dessen Verlauf sich im Vergleich
zu anderen Formen der Meningitis (z.B. bakterielle
unspezifische Hirnhautentzündung) vergleichsweise
lang hinziehen kann, ursächlich mitverantwortlich
für den Tod des Mädchens.
Obwohl an der Moorleiche zahlreiche Krank-
heitsspuren nachgewiesen werden konnten, bleibt
die eigentliche Todesursache weitgehend unbekannt.
Schlussfolgerungen und Bewertung
des Falles „Moora“
Das Leben des Mädchens „Moora“ war nicht nur
kurz, sondern auch entbehrungsreich und mit
Mühsalen verbunden. Wahrscheinlich wurde in
dieser Zeit von einer bäuerlichen Gesellschaft
gefordert, dass sich auch schon Kinder mit einem
hohen körperlichen Einsatz in der Gemeinschaft
bewährten. Im Falle des Mädchens aus dem Uchter
Moor handelt es sich sicherlich nicht um das übli-
che Krankheitsspektrum und somit den üblichen
Lebensablauf eines Mädchens der frühen Eisenzeit
Norddeutschlands. Ob die Krankheitsursachen und
die traumatischen Ereignisse, die zum größten Teil
in den letzten zwei Jahren ihres Lebens und zum