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"Willkiirlichkeit. Seinen Namen soll es von Rocaille, Felsenwerk, haben, welcher auf die eigen-
tümlichen künstlichen Grotten angewendet wird, welche damals in Gärten und Hofräumen aus
Tuffsteinen, Krystallen und Muscheln aufgestellt wurden. Nachahmung der willkürlichsten,
stillosesten Formen der Natur, zackiger jFelsblöcke, phantastischer Tropfsteingebilde, unsym-
metrischer Muscheln und Schnecken bilden die unorganische Grundlage; um diese ranken sich
die seltsamsten Pflanzenformen, am liebsten solche, die von dem architektonisch so wirkungs-
vollen antiken Akanthusblatt möglichst weit verschieden sind: knorrige Fichtenäste, Algen der
See, Flechten und Moose werden naturalistisch nachgeahmt. Ebenso naturalistisch behandelte
Tierformen, Krebse und Krabben, Vögel und Amphibien und Fische werden darunter gemengt.
Aus solchen Formen lässt sich natürlich kein Haus bauen; aber sie werden zur Dekoration
von Thüren und Wänden, von Decken und Möbeln, von allerlei Hausrat und Schmuck ver-
wendet und zwar in Metall, Stein, Stuck, Holzschnitzerei, Farben, Leinwand, Glas und Porcellan.

Diese Stilform soll nach Falke ihre Wurzel in einem Entwurf des vorhin genannten.
Borromini zu den Tuilerien haben, der von Ludwig XIV zwar verworfen wurde, aber in den
Kreisen des nachmaligen Regenten seine Bewunderer fand. In Frankreich endete die Herr-
schaft des Rococo bereits um 1750. In Deutschland und speciell in Mannheim erreichte es
erst zwischen 1730 und 1760 seine höchste Blüte, hört aber dann fast plötzlich vom Klassicismus
besiegt auf, um erst in unsern Tagen seit etwa 20 Jahren wieder aufzuerstehen.

Der Klassicismus ist eine zweite Auflage der Renaissance. Seit etwa I7f)0 strebte
die französische Kunstakademie unter dem Einflüsse der genialen Marquise Pompadour wieder
nach grösserer Einfachheit mit Hülfe strengerer Anlehnung an die Antike. Namentlich übte
der akademische Architekturlehrer Jaques Francois Blondel einen bedeutenden Einfmss aus.
Doch nahm die ganze Kulturwelt an diesem Umschwünge teil, und ich kann hier nur andeuten,
dass die Gründung von Kunstakademien in den bedeutendsten Hauptstädten (in Madrid 1751,
in Edinburg 1756, in Mannheim 1757, in Dresden 1764, in Düsseldorf 1767, in München 1770),
von denen drei später unter dem Scepter Carl Theodors standen, dass die Entdeckung
Pompeji's 1748, die Ausgrabung der Casa dAristide in Herculaneum 1752 („Le autichitä
d'Ercolaneo" 1757 ff, 8 Bände), die Schriften Winckelmanns („Gedanken über die Nachahmung
der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst" 1753 und „Geschichte der Kunst des
Altertums" 1764), die Werke des Italieners Piranesi („della Magnificenza ed architettura dei
Romani" 1760 und „antichitä romane" 1762 ff.) und der Engländer Stuart und Revett, die seit
1750 Griechenland bereisten („Antiquities of Athens" 1762 ff.) den Sieg des Klassicismus über
die Auswüchse des Barockstils wie des Rococo allmählich herbeiführen halfen. Alle diese
kunsthistorischen Studien führten wieder nach Rom zurück und von da über Pompeji nach
Paestum und Akrigent und schliesslich nach Athen, und eine strenge, schliesslich übertriebene
Nachahmung der neu entdeckten „edlen Einfalt und stillen Grösse" der ächten Griechenkunst
führte am Ende des Jahrhunderts zu den nüchternen Formen in allen bildenden Künsten,
welche allein noch als klassisch gelten sollten.

Der Streit, der sich in einer ewigen Spirallinie bald vorwärts, bald rückwärts bewegt,
dreht sich in der Architektur um das Verhältnis der konstruktiven Bestandteile
zu den rein dekorativen. Die Architektur ist eine unfreie Kunst, insofern ihr Hauptzweck
nicht ästhetisch, sondern praktisch ist. Sie will Gebäude schaffen, in welchen Menschen wohnen
und schaffen, tagen und verhandeln, prunken und Feste feiern oder Gott verehren sollen, und
diejenige architektonische Form wird uns am ehesten befriedigen, welche die Bestimmung des
Ganzen und seiner einzelnen Teile von aussen und schon von weitem am leichtesten erkennen
 
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