Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 14.1971

DOI Heft:
Nr. 1
DOI Artikel:
Bayer, Karl: L'école machine?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33079#0005

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
L’ecole machine?

I. Ein verantwortungslos ausgestreutes Gerücht besagt, es sei schon vorge-
kommen, daß ein Lehrer sein Klaßzimmer in einigem zeitlichen Zusammen-
hang mit dem Klingelzeichen betreten habe, ohne sich zuvor überlegt zu haben,
was er denn nun mit seiner Unterrichtszeit anfangen wolle. Der Weltlauf blieb
davon unberührt. Man hört freilich auch vom gegenteiligen Fall, daß nämlich
trotz des Aufgebots aller Künste anderntags wenig mehr als eine tabula rasa
vorzufinden ist.
Wenn ein Betriebsingenieur beim Schichtwechsel ans Fließband tritt, sieht
die Sache zweifellos anders aus, mit allen Konsequenzen. Das Werkstück geht
seinen bis ins letzte Detail programmierten Weg, und wenn aus einem Walz-
block einmal eine Bramme und daraus Blech geworden ist, so bleibt es eben
Blech und steht als solches zur Weiterverarbeitung zur Verfügung, ohne daß
man gewärtigen müßte, es werde sich am nächsten Morgen wieder als Bramme
präsentieren.
Dieser industrielle Fertigungsprozeß funktioniert so glänzend, daß man ihn
als Lehrer (nach neuester Terminologie: als ,Sozialingenieur'1) nur mit Neid
betrachten kann (wenigstens solange man nicht an den mitproduzierten Aus-
schuß denkt). Es ist also kein Wunder, daß sich in unserem industriellen Zeit-
alter der Wunsch aufdrängt, die Schule solle ebenso ,effizient' arbeiten wie ein
Industriebetrieb. Schließlich hatte sich auch früher schon die Schule an den je-
weils prägenden Organisationsformen orientiert: am Kloster, am Fürstenhof,
an der bürgerlichen Beamtenkanzlei.
Wie steht es aber mit dem industriellen Produktionsweg im ganzen? Da
müssen die Produktionsziele im Zusammenhang mit Marktanalysen exakt fest-
gelegt, die Fertigungsmethoden ins einzelne fixiert, die Qualitäten des End-
produkts auf die Verbrauchererwartung abgestimmt oder besser noch: die Ver-
braucherwünsche nach dem Gesetz der umgekehrten Reihenfolge in Richtung
auf das geplante Produkt verändert werden. Kurz, jede Einzelposition eines
solchen Prozesses muß rational legitimiert sein, nichts kann dem Zufall über-
lassen bleiben, andernfalls erscheinen rote Zahlen.
,Curriculum' heißt nun das Zauberwort, das den eben beschriebenen Vor-
gang sehr genau auf die Lernprozesse der Schule übertragen will, sofern es
fordert: Die Lehr- und Lerninhalte müssen exakt festgelegt, die Vermittlungs-
methoden lückenlos und in sich schlüssig angegeben, die als Verhaltensdispo-
sitionen definierten Qualitäten, die der Lernende (vielfach schon als ,output'
bezeichnet) erwerben soll, in Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Ge-
sellschaft gebracht oder besser noch: die Gesellschaft so verändert werden, daß
sie zu dem von der Schule produzierten Menschen paßt. Jedenfalls muß jeder
Lernschritt, auf dieses Ziel abgestellt, genau fixiert, objektiv nachprüfbar ge-
staltet, „operationalisiert“ werden.

(entnommen aus: Die Alten Sprachen im Unterricht Jahrgang XVIII Heft 2/3 70 S. 2—
11) München.

3
 
Annotationen