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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 14.1971

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Nr. 2
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Schirnding, Albert von: Aufforderung zur Freude
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Buchbesprechungen
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Rosenbach, Manfred: [Rezension von: Ilsetraud Hadot, Seneca und die griechisch-römische Tradition der Seelenleitung]
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https://doi.org/10.11588/diglit.33079#0045

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er die Enge einer nur noch durch Zwecke und Funktionen bestimmten, durch und
durch verfügbaren und verwalteten Welt. Als sprengendes Bild, als forderndes
Versprechen einer besseren Welt erscheint Dichtung als schön; von dieser Schön-
heit geht die Freude aus, die zum wichtigsten Motiv für die Beschäftigung mit ihr
werden sollte. Schon im Fachen eines Schülers angesichts des Befremdlichen („Da
ging Odysseus abseits und setzte sich an das Gestade des Meers, von Schönheit
und von Anmut glänzend . . .“) liegt ein Moment der Befreiung.
Bei all dem geht es nicht, oder nur am Rande um Philosophie im wissenschaft-
lichen Sinn. Die Schüler sind keine Altphilologen in spe; jener Griechischlehrer,
der darauf abzielt, den künftigen Griechischlehrer heranzubilden, treibt absurde
Inzucht. Der orginale Wortlaut der Texte hat nur da seine Berechtigung, wo er
Brücke zum Verständnis, nicht Schranke ist. Alle Mittel sind willkommen, die zu
einem vollen und kritischen Verstehen des Sinngehalts führen. Deutsche Über-
setzungen, vor allem zweisprachige Ausgaben, finden reiche Verwendung. So
bringt z. B. das Buch zur Prometheus-Oper von Carl Orff, der die originale Tra-
gödie des Aischylos zugrunde liegt, eine wortwörtliche, zwischen den Zeilen steh-
ende Übersetzung: Wie flüssig liest sich auf einmal ein Text, den man ohne diese
Hilfe nur zähneknirschend bewältigen konnte. Dafür dröhnt das Klassenzimmer
von den Orffschen Hammerschlägen, die den Prometheus an seinen Felsen nageln.
Auch er, der Gefesselte, ist ein Neinsager: Alle Gewalt bleibt machtlos gegen die
Freiheit dieses Nein. Es ist wahr: Griechischer Unterricht erzieht nicht zur Füg-
samkeit. Griechisch ist das Fenster im Gefängnis der Feistungsschule.
Albert von Schirnding, München, entnommen: Süddeutsche Zeitung 1970
Nr. 103 S. 139

Buchbesprechungen

Ilsetraut Hadot, Seneca und die griechisch-römische Tradition der Seelenleitung. Berlin
1969 bei Walter de Gruyter & Co. VII/232 S.
Frau Hadot geht von der Feststellung aus, daß Senecas Schaffen bis auf den heutigen
Tag überaus kontrovers beurteilt wird. Um diese Widersprüche zu überwinden, hat
Frau Hadot Senecas Werk (mit Ausnahme der Tragödien) unter strikter Berücksichti-
gung eines für ihn erkennbar wesentlichen Gesichtpunktes durchgearbeitet und die Ein-
bettung dieses Aspektes in die antike Tradition analysiert. Es handelt sich um den
durchgehend zu beobachtenden Aspekt der rjm%aYCOY'ia, nur unvollkommen mit dem
Worte „Seelenleitung“ wiederzugeben. Wie die Briefe 94 und 95 exemplarisch erhellen,
handelt es sich insbesondere darum, die kranke Seele von ihren Fehlern zu befreien und
zu heilen sowie die Widerstandskraft der noch nicht erkrankten Seele zu festigen. Für
Seneca ist das eine philosophische Frage, deren Ursprünge hinab bis auf die Zeit des
Sokrates zurückgehen, ja sogar noch weiter auf Pythagoras ,bis zur Dichtung eines
Theognis und zu den Lehren der hippokratischen Medizin. Wesentlicher Gesichtspunkt
ist von vornherein die der antiken Tradition eigentümliche Trennung von Paränese
und Dogmatik, d. h. von individueller, aktueller Beratung und grundsätzlichem Wert-
horizont. Bemerkenswert scheint, daß die antike Seelenleitung überwiegend normativ
orientiert ist, wodurch sich das weitgehende Fehlen des individuell-charakterologischen

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