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Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 14.1971

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Nr. 3
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Colloquium didacticum classicum quartum: Canterburry, 5.-8. April 1971
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https://doi.org/10.11588/diglit.33079#0076

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vielfach stark empfundenen römischen Kulturtradition erklärt werden muß. Die Auf-
geschlossenheit für „Classics“ scheint noch immer verbreitet.
2. Die Ziele des altsprachlichen Unterrichts, besonders des lateinischen, unterscheiden
sich von den hierzulande formulierten: a) Weckung des Kultur- und Traditionsbewußt-
seins („help the pupil today to become more aware of his own culture and traditions“):
b) Kenntnisse und Verständnis der Antike („the Greco-Roman civilization ...
viewed in the round, so making it possible for us to understand it more fully“);
c) Erweiterung des geistigen Horizontes — Schulung der moralischen und ästhetischen
Kategorien - Konfrontation und Vergleich („extended outlook - sensitivity to moral
and aesthetic questions - drawing comparisons“).
Dieser Katalog, der von der London Association of Classical Teachers 1970 for-
muliert wurde, darf als repräsentativ gelten, wo zentrale Aussagen nicht vorhanden
sind. Vergebens sucht man Zielsetzungen jener Art, wie sie in immer neuen Formulie-
rungen der deutschen Öffentlichkeit entgegengehalten werden. Lektüre ist drüben allei-
niger Unterrichtszweck, aber auch, wie sich gezeigt hat, in den anderen Ländern West-
europas. Multa legere ist Ziel. Das setzt einen Elementarunterricht voraus, der Ver-
trauen zum eigenen Können und flüssigen Lesen erreichen will. Folgerichtig werden
confidence und reading skill von den Urhebern des Cambridge school classics
project obenan gestellt, dazu aber auch dieses: Freude an der Sache (pleasure, en-
joyment)! - Ein Grundgesetz pädagogischer Psychologie, dem man auch in anderen
Ländern mehr Beachtung schenken sollte!
3. Diesen Forderungen entsprechen Methodik und Didaktik: - a) Methodik: völ-
liger Verzicht auf indirekte Methode, weitgehender Verzicht auf das Übersetzen und
formalsprachliche Arbeit, dafür aber reichlich strukturale Analysen. Das Quantum fer-
tiger Hilfen, um rasches Verstehen zu gewährleisten, ist hoch: beim cambridge-
Lehrbuch im Schnitt zwei pro Zeile, oft drei! Das bedeutet schnelles Vorankommen,
aber Verzicht auf Lateinkönnen: „knowledge of Latin“ wird denn auch als Unterrichts-
ziel verneint. Mag dieser Weg hierzulande unbetretbar sein, nicht zu leugnen, daß die
Schüler zu größerer Kenntnis lat. Literatur gelangen, daß auch - so kann man
wohl folgern - die sprachlichen Lücken weniger deutlich und leichter überbrückt werden,
daher weniger Frustration und mehr Freude am Erreichten; b) Vielleicht auch mehr
Interesse: Im didaktischen Programm liegen die Akzente anders: stäker als hierzulande
steht im Mittelpunkt das 1. Jdt. p. Chr. n. Livius, Sallust und Caesar gehören dem
revidierten Kanon nicht mehr an, von Cicero werden nur Briefe genannt (zu den eigent-
lichen Ziel-Autoren vgl. oben!). Vergil genießt besondere Wertschätzung, kaum ein
Schüler, der im Lateinunterricht nicht Buch 2 oder 4 der „Aeneis“ kennengelernt hat.
Bei dieser Lektüreauswahl, der sich der Stoff des Lehrbuchwerks kulturgeschichtlich an-
schließt, darf man vermuten, daß ein Rombild frei von Dekadenz und Zerrüttung
entwickelt wird, das stärker geschichtliche Größe und den Glanz des weltumspannenden
Imperiums ahnen läßt. - Ohne kulturgeschichtliche Kenntnisse wäre dieses Rombild
unvollständig. Ihre Vermittlung beginnt mit den Foundation courses und setzt
sich im Lehrbuch mit ausführlichen Erläuterungen, nicht selten in der Form von
muttersprachlichen Erzählungen und vielen kräftig gezeichneten Illustrationen fort. Wer
zwischen hier und dort vergleicht, beginnt sich zu fragen, ob auf diesem Wege hier-
zulande mehr Interesse geweckt werden könnte; c) Grammatik: Die verlangten Kennt-
nisse beschränken sich auf das Nötige, d. h. eine „pädagogische Grammatik“, deren Leit-
schnur die Frage ist: Was braucht der Schüler unbedingt? Maßstab ist die (Anders-
artigkeit der) Muttersprache.
Das Fazit der Tagung besteht demnach in einer deutlicheren Erkenntnis dessen, was
der Unterricht bei uns nicht aufgeben kann, was andererseits mehr Beachtung als bisher
verdient und ernstlich bedacht werden sollte.

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