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Schneidmüller, Bernd [Hrsg.]; Weinfurter, Stefan [Hrsg.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Otto III. - Heinrich II.: eine Wende? — Mittelalter-Forschungen, Band 1: Sigmaringen, 1997

DOI Artikel:
Görich, Knut: Eine Wende im Osten: Heinrich II. und Boleslaw Chrobry
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https://doi.org/10.11588/diglit.25411#0112
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Knut Görich

men. Das geographische Zentrum des Konflikts lag in der Landschaft, die von Saa-
le und oberer Elbe im Westen, Bober und Oder im Osten, dem Erzgebirge im Süden
und den Siedlungsgebieten der Havel- und Spreeslaven im Norden begrenzt wur-
de und in etwa der Nieder- und Oberlausitz entspricht; in den Quellen der Jahrtau-
sendwende erscheint dieser Landstrich als Gebiet der LMsici und Müzem'. Mehr als
ein Dutzend Verwüstungszüge in eineinhalb Jahrzehnten sowie das anscheinend
unüberwindliche Mißtrauen zwischen dem deutschen und dem polnischen Herr-
scher erwecken tatsächlich leicht den Eindruck einer prinzipiellen, immer erneut
gepflegten Feindschaft; man kann sich, wie sehr anschaulich gesagt wurde, gerade-
zu an den »Eiseshauch nationaler Interessenpolitik« ^ erinnert fühlen. Diesen Ein-
druck verstärkt zuweilen noch eine Terminologie in der Forschungsliteratur, die
den Vorstellungen von einem Krieg gegen das Reich, von Entscheidungs- oder gar
Vernichtungsschlacht oder von Landgewinn angesichts polnischer Bedrohung ver-
pflichtet isth Daß diese Perspektive gleichwohl zutiefst anachronistisch wäre,
mögen nur zwei kurze Hinweise verdeutlichen. Zum einen ist mittlerweile unbe-
stritten, daß sowohl deutsche wie polnische Historiker die Geschichte der Konfron-
tation zwischen Heinrich II. und Boleslaw Chrobry allzu lange unter dem Druck der
Rechtfertigung politischer Ansprüche ihrer beiden Nationen geschrieben habenh
Zum anderen ist das Geschehen in den östlichen Grenzgebieten des ostfränkisch-
deutschen Reichs aus der Perspektive traditioneller Kaiser- und Reichsgeschichte
nur unzulänglich erklärbar; das zeigt die neuere Diskussion um die Entstehung des
deutschen Reichs und den Beginn einer im engeren Sinne »deutschen« Geschichte
ebenso deutlich wie die Untersuchungen zur westslavischen Staatenbildung um
die Jahrtausendwende L

2 So die Formulierung von CARLRICHARD BRÜHL, Die Anfänge der deutschen Geschichte (Sitzungs-
berichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfang Goethe-Universität Frank-
furt am Main 10.5), Wiesbaden 1972, S. 176 f.; DERS., Deutschland - Frankreich. Die Geburt zweier
Völker, Köln/Wien 1990, S. 669.
3 Formulierungen wie »Krieg gegen das Reich«, »Truppenhilfe«, »Entlastungsoffensive«, »polni-
sche Gefahr«, »zähes, fünfzehn Jahre währendes Ringen«, »deutsche Kriegsführung im Osten«,
»verlieren« und »gewinnen« der Lausitzen oder auch »deutsche Waffenhilfe bei den Russenfeld-
zügen Boleslaws« transportieren Vorstellungen, die weder den politischen Verhältnissen der }ahr-
tausendwende noch der Art mittelalterlicher Konfliktführung gerecht werden. Unmißverständ-
lich dagegen TiMOTHY REUTER, Germany in the Early Middle Ages 800-1056, London/New York
1991, S. 260: »The hostilities began as a feud, and were conducted as such.«
4 GERD ALTHOFF, Die Beurteilung der mittelalterlichen Ostpolitik als Paradigma für zeitgebun-
dene Geschichtsbewertung, in: DERS. (Hg.), Die Deutschen und ihr Mittelalter, Darmstadt 1992,
S. 147-164 und S. 210-217 mit ausführlichen Literaturhinweisen. Ferner WiLLi OßERKROME, Volks-
geschichte. Methodische Innovation und völkische Ideologisierung in der deutschen Geschichts-
wissenschaft 1918-1945 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 101), Göttingen 1993. Aus
polnischer Sicht JAN PlSKORSKl, 1000 Jahre der deutsch-polnischen Grenze, in: Jahrbuch für die Ge-
schichte Mittel- und Ostdeutschlands 44,1996, S. 129-150. Noch immer lesenswert die Kritik an
den Konsequenzen einer in nationalen Vorstellungen befangenen, nicht immer nur älteren deut-
schen Forschung für das Verständnis der Vorgänge im elbslavischen Raum bei HERBERT LuDAT,
Elbslaven und Elbmarken als Problem der europäischen Geschichte, in: Festschrift für Friedrich
von Zahn, Bd. 1: Zur Geschichte und Volkskunde Mitteldeutschlands, hg. von WALTER SCHLESIN-
GER, Köln/Graz 1969, S. 39-49.
5 Zusammenfassend JOACHIM EHLERS, Die Entstehung des deutschen Reiches, München 1994. Für
Böhmen und Polen vgl. FRANTISEK GRAUS, Die Nationenbildung der Westslawen im Mittelalter
(NATIONES 3), Sigmaringen 1980; DERS., Böhmen im 9. bis 11. Jahrhundert, in: Gli slavi occiden-
 
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