Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kaufhold, Martin; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Rhythmen politischer Reform im späten Mittelalter: institutioneller Wandel in Deutschland, England und an der Kurie 1198 - 1400 im Vergleich — Mittelalter-Forschungen, Band 23: Ostfildern, 2008

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34739#0023
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Einleitung

19

grundlagen erarbeitet hat.^ Diese Arbeiten sind eine notwendige Voraussetzung
für einen historischen Vergleich. Ohne sie wäre er nicht möglich. Die vergleichen-
de Perspektive lebt davon, dass sie Phänomene zueinander in Verbindung setzt,
die bislang vorwiegend für sich betrachtet wurden. Den Wert detaillierter Einzel-
studien hebt sie nicht auf. Sie ergänzt sie um einen anderen Blickwinkel. Aber der
Vergleich wird doch eine Revision solcher Urteile anstreben, die durch einen iso-
lierten Blick zustande gekommen sind. So erscheinen in einer jüngeren englischen
Untersuchung die Barone Englands im fortschreitenden späten Mittelalter als
politische Kraft, die sich zunehmend durch aristokratische Gruppeninteressen
leiten ließ. Der Einsatz für die Ideale der Freiheit, der die Rebellion gegen König
Johann Ohneland zu Beginn des 13. Jahrhunderts motiviert habe, und der zur
Magna Carta von 1215 führte, sei in den Bewegungen des 14. Jahrhunderts ver-
schwunden.*' Die Autorin hat für ihre Untersuchung einen langen Zeitraum ge-
wählt und sich damit neue Vergleichsmöglichkeiten erschlossen. Aber sie be-
schränkt sich ausschließlich auf die englische Entwicklung, sonst wäre ihr
aufgefallen, wie sehr ihre Beurteilung der baronialen Politik der Verurteilung der
kurfürstlichen Politik im spätmittelalterlichen Reich entspricht.*^ In beiden Fällen
kommen die Urteile durch ein Zurücktreten politischer Kategorien zustande, und
man kann es als einen Anspruch vergleichender Untersuchung formulieren, für
die historische Entwicklung ein realistisch fundiertes Erwartungsprofil zu erarbei-
ten.^
Die Neubewertung baronialer und fürstlicher Politik ist nur ein Ergebnis der
vergleichenden Arbeitsweise. Es geht insgesamt um einen realistischen Blick auf
die Möglichkeiten eines gesteuerten institutionellen Wandels unter den einfachen
Kommunikationsbedingungen und dem geringen Grad organisatorischer Durch-
dringung, der das späte Mittelalter aus moderner Perspektive kennzeichnet. Dabei
lebt der Vergleich nicht nur durch den Blick des Beobachters, sondern er bezieht
seine Berechtigung auch aus der zeitgenössischen Verbindung der beobachteten
Phänomene. Es gilt, den Vergleichshorizont so zu bestimmen, dass die untersuch-
ten Erscheinungen in einem zeitlichen Verhältnis zueinander stehen, das den Be-

26 Anstelle einer ausführlichen Bibliographie an dieser Stelle vgl. die Literaturnachweise in den
folgenden Kapiteln im jeweiligen thematischen Zusammenhang.
27 C. VALENTE, The Theory and Practise of Revolt in Medieval England, Aldershot u. a. 2003.
28 Zu den kritischen Urteilen über die kurfürstliche Politik im spätmittelalterlichen Reich vgl.
für einen ersten Eindruck: M. KAUFHOLD, Deutsches Interregnum und europäische Politik.
Konfliktlösungen und Entscheidungsstrukturen 1230-1280 (MGH Schriften 49), Hannover
2000, S. 12-25,110-126, 464f.
29 Zu den methodischen Ansprüchen an eine vergleichende Untersuchung spätmittelalterlicher
Entwicklungen vgl. etwa: M. BORGOLTE, Mediävistik als vergleichende Geschichte Europas,
in: Mediävistik im 21. Jahrhundert. Stand und Perspektiven der internationalen und interdis-
ziplinären Mittelalterforschung (Mittelalter Studien des Instituts zur interdisziplinären Er-
forschung des Mittelalters und seines Nachwirkens), hg. von H.-W. Götz/J. Jarnut, Parder-
born 2003, S. 312-323; vgl. besonders die Beiträge in: Das Mittelalter im Spannungsbogen des
Vergleichs: Zwanzig internationale Beiträge zu Praxis, Perspektiven und Problemen der in-
ternationalen Komparatistik (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur histori-
schen Komparatistik 1), hg. von M. Borgolte, Berlin 2001.
 
Annotationen