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Kaufhold, Martin; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Rhythmen politischer Reform im späten Mittelalter: institutioneller Wandel in Deutschland, England und an der Kurie 1198 - 1400 im Vergleich — Mittelalter-Forschungen, Band 23: Ostfildern, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.34739#0140
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136

Kapitel 4

der Inhaber nachweisen konnte, dass seine Familie es seit dem Herrschaftsantritt
von König Richard (Löwenherz) ununterbrochen innehabe, sollte vom König be-
stätigt werden. König Richard war 1189 zum König von England gekrönt worden/
Damit lag der Zeitpunkt, bis zu dem die Erinnerung zurückgeführt werden mußte,
fast genau 100 Jahre zurück.- Das war eine lange Zeit, und diese Festsetzung führt
uns mitten hinein in ein zentrales Problem: Wie konnte eine solche Erinnerung
gerichtsfest belegt werden? Gab es in diesem Fall einen strukturellen Vorteil des
Königs - immerhin hatten die englischen Könige im 13. Jahrhundert eine ein-
drucksvolle Überlieferung hinterlassen? Und die ambitionierte Wahl der Frist
ermöglicht auch einen Vergleich mit Kampagnen anderer europäischer Herrscher.
Die Revindikationen Rudolfs von Habsburg wurden schon genannt, aber aus den
Anfängen des 13. Jahrhunderts ist auch noch das ähnlich gelagerte Verfahren
Friedrichs II. in Erinnerung. Dieser hatte nach seiner Kaiserkrönung in den Assiscn
UOM 1220 die sizilischen Barone aufgefordert, innerhalb enger Fristen ihre
Rechte bestätigen zu lassen - andernfalls würden sie sie verlieren/ Friedrich hatte
dasselbe Stichjahr wie Edward I. gewählt: 1189, das Jahr in dem König Wilhelm II.
von Sizilien gestorben war/ Allerdings war dies 70 Jahre früher gewesen, und
damals war das Jahr 1189 für viele Zeitgenossen noch ein Zeithorizont, mit dem
sie eine Erinnerung verbinden konnten. Im Jahr 1290 war 1189 eine abstrakte Grö-
ße. Und doch müssen wir uns vor Irrtümern hüten. Es wäre irreführend, wollte
man die beanspruchte Reichweite königlicher Erinnerung nun einfach miteinander
vergleichen und in dieser Form gar eine Rangordnung aufstellen. Denn die Fristen
waren wahrscheinlich nur zum Teil politisch motiviert.

4 Vgl. J. GlLLINGHAM, Richard I (Yale English Monarchs), New Haven u. a. 1999, S. 106-122.
5 Vgl. dazu auch: M. T. CLANCHY, Remembering the Past and the Good Old Law, in: His-
tory 55 (1970), S. 165-176, S. 174. Der Bezug auf die Zeit von Richard Löwenherz zur Festle-
gung eines juristischen Zeithorizontes wurde schon im Statut von Westminster (Kap. 39) von
1275 vorgenommen: Statutes of the Realm, Bd. 1, London 1810, S. 26-39.
6 Die Assisen von Capua von 1220 sind überliefert bei Richard von San Germano: Ryccardi de
Sancto Germano Notarii Chronica (Rerum Italicarum Scriptores N.S. 7,2), hg. von C. A. Garu-
fi, 2. Aufl. Bologna 1937-38, S. 88-93: Volnmns et disfn'cfg inücmMS Mt ptda post oüz'fMn; dondn;
dnperafon's Henne; sigdlnm nosfrnn: deoend ad nzanns MnrcuaM;', ^n; de ipso sigiiio plnra coa/ecisse
dicifar ^ae sanf in preiadicia;n nosfnon, et sinu'ieJäcfnn; pnfafnr de sigido in;pernfn'cis nmin's nosfre
post olnfnzn eias, anioersa pn'aüegia, <?aejäcin sanf ef concessa aü eisdem imperafore ef ;'mperafr;'ce aü
düs t?ai sanf cüra Fara;n aspae ad Pascüa resarreefionis Dondni presenfefar: ef ad iüis de Sicüia as-
zyne ad Penfecosfen;. Ownia efiam pn'ailegia ef concessionan; scn'pfa ef nodis cniüdef daefenas Jäcfa in
eisdem fenninis precipimas presenfari. Qaod si non presenfnoen'nf, (in) ipsis prdn'fegiis non inrpane
afanfar; sed irn'fnfis penifas <yai ea concnfcaaen'nf, Indignationen; imperialen; incarranf. Vgl. dazu
STÜRNER, Friedrich II., Bd. 2, S. 9-26.
7 Das Stichjahr ergibt sich daraus, dass Friedrich die Rückgabe aller Privilegien seines Vaters
forderte, dessen Herrschaft nach staufischem Verständnis nach dem Tode Wilhelms II. 1189
begonnen hatte, vgl. dazu etwa STÜRNER, Friedrich II., Bd. 2, S. 15; vgl. auch P. SCHEFFER-
BOICHORST, Das Gesetz Kaiser Friedrichs II. „De resignandis Privilegiis", in: Sitzungsberichte
der königlich preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Philosophisch-
Historische Klasse (1900), S. 132-152, danach in: DERS., Gesammelte Schriften, Bd. 2 (Histori-
sche Studien 43), Berlin 1905, S. 248-273.
 
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