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Kaufhold, Martin; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Rhythmen politischer Reform im späten Mittelalter: institutioneller Wandel in Deutschland, England und an der Kurie 1198 - 1400 im Vergleich — Mittelalter-Forschungen, Band 23: Ostfildern, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.34739#0141
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Die Dynamik politischer Traditionsbildung

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Es erscheint ohne weiteres plausibel, dass Friedrich II. im Jahr 1220 den Tod
Wilhelms II. als Referenzpunkt wählte. Denn mit ihm starb in der Sicht der Staufer
der letzte legitime männliche Vertreter jener Dynastie, deren Erbe die Staufer be-
anspruchten. Und es gab sicher gute Gründe für Edward I., den Herrschaftsantritt
seines Großonkels als Bezugspunkt zu wählen, immerhin war Richard Coeur de
Lion am Ende des 13. Jahrhunderts so bekannt, dass ihm 1300 ein mittelenglisches
Versepos gewidmet wurdet Aber das ist nur eine Begründung und nicht unbe-
dingt die entscheidende.
Beide Herrscher, Edward I. und Friedrich II., räumten dem Recht eine beson-
dere Rolle in ihrer Herrschaft ein. Die Gesetzgebung Friedrichs II. hat das Interesse
der historischen Forschung immer wieder beschäftigt, und Edward I. gilt als engli-
scher Justinian.^ Beide hatten Erfahrungen mit den Bestimmungen des römischen
Rechts. Und das römische Recht lieferte Vorbilder für die Bemessung solcher Fri-
sten. Zeiträume von 30, 40 und 100 Jahren galten im römischen Recht als Verjäh-
rungsfristen, nach deren Ablauf (je nach Gütern) man das Recht an einer Sache
ersitzen konnte.^ Hier geht es nicht um eine präzise Klärung der Rechtsverhält-
nisse nach dem Ablauf solcher Fristen - sie war ohnehin kaum möglich sondern
darum, dass diese Verjährungsfristen eine gewisse Orientierung für die Festset-
zung vergleichbarer Zeiträume im 13. Jahrhundert boten.
Rudolf von Habsburg erwirkte am 19. November 1274 auf einem Hoftag in
Nürnberg einen Fürstenspruch, der ihn ermächtigte, jene Reichsgüter, die vor der
Absetzung Friedrichs II. in der Hand des Kaisers gewesen waren (anU^natn UH
esset in enm &posz'cionz's senfencia), für die Krone zurückzugewinnen - notfalls mit
Gewalt (inzüriosHm rioienczam regaii pofenha de&eaf repetiere ei iara imperii conserua-
re).^ In diesem Fall gab es eine klare politische Begründung für die Wahl des
Stichdatums, die Absetzung Friedrichs II. war in der Tat ein einschneidender Vor-

8 Vgl. dazu etwa: Richard Coeur de Lion in History and Myth (Medieval Studies 7), hg. von J.
Nelson, London 1992 .
9 Zu Friedrich II. und dem Recht vgl. etwa: E. KANTOROWICZ; The King s Two Bodies. A Study
in Medieval Political Theology, Princeton/New Jersey 1957, S. 87-143,: H. HÜBNER, Fried-
rich II. von Hohenstaufen und das Recht, Köln 1997; zu Edward I. vgl. z. B. PRESTWICH, Ed-
ward I, S. 267-297; vgl. auch: T. F. T. PLUCKNETT, Legislation of Edward I. (The Ford Lectures
1947), Oxford 1949.
10 Vgl. zu diesen Fristen etwa M. KASER, Das römische Privatrecht, Bd. 2 (Handbuch der Alter-
tumswisenschaft: Rechtsgeschichte des Altertums), 2. Aufl. München 1971-75, S. 285-288.
Die Ersitzung eines Rechts, etwa an einem Stück Land oder an einem Wegezoll, wird im rö-
mischen Recht als VmA'Uh'on bezeichnet. Entsprechend bezeichnete die Forschung den Ver-
such der Rückgewinnung solcher während einer Schwächephase des Königtums ersessener
(oder usurpierter - je nach nach Perspektive) Rechte als ReHHAkHh'ou. Vgl. zur Bedeutung
der Fristen des römischen Rechts im Mittelalter auch H. G. WALTHER, Das gemessene Ge-
dächtnis. Zur politisch-argumentativen Handhabung der Verjährung durch gelehrte Juristen
des Mittelalters, in: Mensura. Maß, Zahl, Zahlensymbolik im Mittelalter, 1. Halbband (Mis-
cellanea Medievalia), hg. von A. Zimmermann/G. Vuillemin-Diem, Berlin/New York 1983,
S.212-232.
H MGH Constitutiones, Bd. 3, ed. Schwalm, Nr. 72 (Zitat S. 60), vgl. dazu KRIEGER, Rudolf von
Habsburg, S. 118-127; O. REDLICH, Rudolf von Habsburg. Das deutsche Reich nach dem Un-
tergang des alten Kaisertums, Innsbruck 1903, S. 479-510.
 
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