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Dendorfer, Jürgen [Oth.]; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Das Lehnswesen im Hochmittelalter: Forschungskonstrukte - Quellenbefunde - Deutungsrelevanz — Mittelalter-Forschungen, Band 34: Ostfildern, 2010

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Dendorfer, Jürgen,: Zur Einleitung
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https://doi.org/10.11588/diglit.34751#0037

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36

Jürgen Dendorfer

Philippe Depreux und Klaus van Eickels wenden sich beide den Ritualen zu,
die ein Lehnsverhältnis begründen. PHILIPPE DEPREUX zeigt, wie sinnvoll ein
umsichtiger Blick auf die Gesten und Rituale sein kann, die bisher rasch im Sinne
eines Lehnsverhältnisses gedeutet wurden66. Er liest den für diese Lragen
ergiebigsten Text, Galberts von Brügge Bericht über die Ermordung Graf Karls
des Guten von Flandern, neu. Das hominium oder homagium ist danach, anders als
das in der älteren Forschung häufig angenommen wurde, kein eindeutiger Beleg
für das Eingehen einer Lehnsbindung. Es kann häufiger eine Huldigung oder
Anerkennungsgeste in Verbindung mit einem Treueid sein. Dagegen unter-
scheidet bei Galbert die mit der Huldigung verbundene Investitur eindeutiger ein
LehnsVerhältnis. Der Beitrag von KLAUS VAN EICKELS schließt daran an67. Er
entlarvt die Fixierung der Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts auf die
Vasallität als herausragende personale Bindung neben Verwandtschaft und
Freundschaft sowohl in Frankreich als auch in Deutschland als Ausdruck einer
ideologisch aufgeladenen Staatsversessenheit und konstatiert: Wir kommen auch
ohne das Lehnswesen aus, um herrschaftliche Unterordnung zu erklären. Die
Lehnshuldigung, das homagium, hatte aber die Funktion, Rangverhältnisse klar
und deutlich sichtbar zu machen, sowohl den König durch die Huldigung als
solchen anzuerkennen als auch denjenigen, der huldigt, als rechtmäßigen Inhaber
des Lehens zu bestätigen. Die alternativen Konzepte der Freundschaft und
Verwandtschaft heben dagegen Rangunterschiede auf, was besonders in
komplexen Inszenierungen des 12. Jahrhunderts deutlich werde, in denen die
Unterwerfungsgeste des homagium durch die Betonung komplementärer
Bindungen unkenntlich gemacht werden. Van Eickels plädiert für eine be-
griffliche Unterscheidung der Lehnshuldigungen des 12. Jahrhundert von dem
»auf einem systematisierten Lehnrecht aufruhenden Lehnswesen« »seit dem
13. Jahrhundert (und in Ansätzen schon in den Jahrzehnten zuvor)«. In der
zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts sei nur ein »neuer rechtlicher Referenz-
rahmen« entstanden, der den einzelnen Elementen, die in den Jahrhunderten
zuvor schon vorhanden waren, eine »weitaus eindeutigere Bedeutung« gibt.
Die zwei abschließenden Beiträge des Bandes versuchen, auf der Grundlage
der neuen Erkenntnisse übergreifendere alternative Modelle zu entwerfen.
Gerhard Lubich eröffnet mit seinem Beitrag zu »Amtslehen und Herrschafts-
gestaltung am Beispiel der Herzogtümer« die Diskussion um den Stellenwert

66 PHILIPPE DEPREUX, Lehnsrechtliche Symbolhandlungen. Handgang und Investitur im Bericht
Galberts von Brügge zur Anerkennung Wilhelm Clitos als Graf von Flandern, S. 387-399.
67 Klaus van Eickels, Verwandtschaft, Freundschaft und Vasallität. Der Wandel von Konzepten
personaler Bindung im 12. Jahrhundert, S. 401 -411.
 
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