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Oschema, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Bilder von Europa im Mittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 43: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34759#0019

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18

Kapitel I

Untersuchung geht folglich von der Grundannahme aus, dass Welt nicht ein-
fach als gegebener, materieller Rahmen menschlichen Seins historische Wirk-
samkeit besitzt, sondern diese vor allem durch Prozesse der Wahrnehmung,
Verarbeitung, Darstellung und Repräsentation im kommunikativen und so-
zialen Miteinander erlangt.
Für die Frage nach dem Europa-Begriff bedeutet dies, in konsequent histo-
risierender Perspektive, dass dessen Konturen in der Anwendung auf frühere
Epochen jeweils gesondert analysiert werden müssen: Solange der Begriff nicht
als heuristisches Instrument im Sinne einer Analysekategorie klar zugeschnitten
ist, lässt er sich anderen Zeiten und Kulturen nicht kurzerhand überstülpen,
ohne in eine Anachronismusfalle zu tappen A Im Beispiel von Pierre Dubois
etwa bedeutet die umstandslose Deutung seiner Ausführungen zur »Christen-
heit« als Projekt einer »europäischen Einigung«, dass der spezifische Zuschnitt
seiner Gedanken, nämlich die Konzentration auf die römisch-lateinische Kirche,
umstandslos aus dem Blick gerät. Bezüglich des Europa-Begriffs und seiner
Nutzung über die Jahrhunderte hinweg, mögen heutige Historikerinnen und
Historiker aufgrund der ihnen vorliegenden Zeugnisse eine längere Entwick-
lung überblicken können, als die Menschen des 7. oder des 13. Jahrhunderts.
Uber eine überzeitliche Wahrheit verfügen sie damit aber nicht - sie können
nur das vorläufig letzte Wort sprechen, dem sich unausweichlich weitere
anschließen werden.

1. Das Problem - viele Meinungen und wenig Wissen

Den Ausgangspunkt dieser Arbeit bildet eine nach zwei Richtungen hin ange-
legte Beobachtung, deren Hintergründe bereits kurz skizziert wurden: Auf
der einen Seite soll hinterfragt und dargestellt werden, in welcher Weise die
mediävistische Forschung im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert Europa
als Begriff und Konzept entdeckte, benutzte und konstruierte.^ Besonderes
Augenmerk gilt dabei der Verhängung der fach wissenschaftlichen Gewohn-
heiten des Begriffsgebrauchs mit den politischen und sozialen Entwicklungen
der Gesellschaften, in welche die schreibenden Autorinnen und Autoren ein-
gebettet waren und sind. Allerdings soll hier keine detaillierte Aufarbeitung
eines gesellschaftlich verorteten Diskursfeldes erfolgen, wie sie von anderen
Autoren mit spezifischem Fokus auf bestimmte Zeitabschnitte des 20. Jahrhun-
derts vorgelegt wurdeA Schon aus Gründen der Textquantität ist eine solche

33 Zwar kann auch die kontrollierte Verwendung anachronistischer< Kategorien in der Analy-
se zu produktiven Spannungen führen, aber dies setzt einerseits einen klaren definitorischen
Zuschnitt der eingesetzten Kategorien voraus sowie andererseits ein Bewusstsein von die-
sem methodischen Vorgehen; vgl. am Beispiel der Dichotomie >öffentlich< - >privat< in An-
wendung auf mittelalterliche Gegenstände von Moos 1998, S. 9-12.
34 Zu den Umrissen dieser Problemstellung bereits Oschema 2006.
35 Vgl. etwa Conze 2005 oder zum Begriff und Konzept des Abendlands Schildt 1999 und Pöp-
ping 2002.
 
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