III. Europa in der Antike - Erdteil, Mythos
und eine phönizische Prinzessin
Die weite Verbreitung des Europa-Namens zur Bezeichnung eines Erdteils, die in
den meisten Fällen zugleich mit der Kenntnis des zugrundeliegenden Mythos
von der Entführung der namensgebenden Königstochter durch den liebesent-
brannten Zeus einherging, kann für die Zeit des Mittelalters nicht angemessen
beschrieben werden, ohne zunächst einige Hinweise zur antiken Vorgeschichte
zu bieten: Wie die Analyse der mittelalterlichen Quellen zeigen wird, zehrte
die spätere Fortentwicklung trotz mancher Absetzungs- und Reinterpretations-
bestrebungen intensiv von den Wissensbeständen und Deutungstraditionen
der Antike. Dass der Begriff (oder besser Name) Europa in der griechischen
Tradition zur Bezeichnung des Erdteils wurde, ist weithin bekannt und akzep-
tiert. Wesentlich umstrittener sind dagegen auch in der heutigen Forschung
die Fragen nach der etymologischen Herkunft sowie nach der kulturellen Di-
mension des Begriffs: Ebenso wie für das Mittelalter die Existenz einer Europa-
Vorstellung bezweifelt wird, die eine rein geographische Komponente überstieg,
gilt dies auch für die Antike. In den folgenden Abschnitten soll daher kurz skiz-
ziert werden, an welche Vorgaben der antiken Tradition die mittelalterlichen
Entwicklungen anknüpfen konnten.^
1. Europa - Name und Bedeutung
Vor allen Ausführungen zu den Inhalten der Europa-Geschichte, der mytho-
logischen Benennungsgeschichte des Erdteils und hieran anschließenden Tra-
ditionen sei der Blick zunächst auf das Wort selbst gelenkt: Die modernen
Forschungsbeiträge zur Geschichte der Europa-Vor Stellungen, aber auch Dar-
stellungen, die sich an ein breiteres, nicht-akademisches Publikum richten,
enthalten regelmäßig auch mehr oder weniger ausgearbeitete Hinweise zur
Etymologie des Europa-Namens selbst. Für dessen Entstehung werden dabei
grundsätzlich zwei unterschiedliche Möglichkeiten in Erwägung gezogen:
eine Herkunft aus dem Semitischen oder aber eine genuin griechische Prä-
1 Eine detailreiche Zusammenstellung der älteren Forschung bietet Escher-Bürkli/Berger 1907;
bereits Jahn 1870 stellte einen Katalog einschlägiger Bildwerke zusammen. Berve 1949 [1966]
enthält praktisch keine Belege und handelt auch vorrangig von einer europäischen Kultur-
einheih, ähnlich Calderini 1952. Erste Überblicke bieten epochenübergreifende Darstellun-
gen, etwa von Duroselle 1963, S. 33-41 und Chabod 1963 [1961], S. 11-15. Buhler 1968 trägt
reiches Material zum Europa-Mythos zusammen. Detaillierte Untersuchungen bieten die
Beiträge in Sordi (Hg.) 1986, als Uberblicksdarstellungen s. Kienast 1991 und v.a. die hervor-
ragende, systematische Übersicht bei Demandt 1998; s. daneben auch Chevallier 1998, Ferrary
1994, Flobert 1994, die Beiträge in Renger/Ißler (Hg.) 2009, sowie Cobet 2010. Monographisch
zu den Europa-Vorstellungen in der griechischen Antike Jouanna 2009.
und eine phönizische Prinzessin
Die weite Verbreitung des Europa-Namens zur Bezeichnung eines Erdteils, die in
den meisten Fällen zugleich mit der Kenntnis des zugrundeliegenden Mythos
von der Entführung der namensgebenden Königstochter durch den liebesent-
brannten Zeus einherging, kann für die Zeit des Mittelalters nicht angemessen
beschrieben werden, ohne zunächst einige Hinweise zur antiken Vorgeschichte
zu bieten: Wie die Analyse der mittelalterlichen Quellen zeigen wird, zehrte
die spätere Fortentwicklung trotz mancher Absetzungs- und Reinterpretations-
bestrebungen intensiv von den Wissensbeständen und Deutungstraditionen
der Antike. Dass der Begriff (oder besser Name) Europa in der griechischen
Tradition zur Bezeichnung des Erdteils wurde, ist weithin bekannt und akzep-
tiert. Wesentlich umstrittener sind dagegen auch in der heutigen Forschung
die Fragen nach der etymologischen Herkunft sowie nach der kulturellen Di-
mension des Begriffs: Ebenso wie für das Mittelalter die Existenz einer Europa-
Vorstellung bezweifelt wird, die eine rein geographische Komponente überstieg,
gilt dies auch für die Antike. In den folgenden Abschnitten soll daher kurz skiz-
ziert werden, an welche Vorgaben der antiken Tradition die mittelalterlichen
Entwicklungen anknüpfen konnten.^
1. Europa - Name und Bedeutung
Vor allen Ausführungen zu den Inhalten der Europa-Geschichte, der mytho-
logischen Benennungsgeschichte des Erdteils und hieran anschließenden Tra-
ditionen sei der Blick zunächst auf das Wort selbst gelenkt: Die modernen
Forschungsbeiträge zur Geschichte der Europa-Vor Stellungen, aber auch Dar-
stellungen, die sich an ein breiteres, nicht-akademisches Publikum richten,
enthalten regelmäßig auch mehr oder weniger ausgearbeitete Hinweise zur
Etymologie des Europa-Namens selbst. Für dessen Entstehung werden dabei
grundsätzlich zwei unterschiedliche Möglichkeiten in Erwägung gezogen:
eine Herkunft aus dem Semitischen oder aber eine genuin griechische Prä-
1 Eine detailreiche Zusammenstellung der älteren Forschung bietet Escher-Bürkli/Berger 1907;
bereits Jahn 1870 stellte einen Katalog einschlägiger Bildwerke zusammen. Berve 1949 [1966]
enthält praktisch keine Belege und handelt auch vorrangig von einer europäischen Kultur-
einheih, ähnlich Calderini 1952. Erste Überblicke bieten epochenübergreifende Darstellun-
gen, etwa von Duroselle 1963, S. 33-41 und Chabod 1963 [1961], S. 11-15. Buhler 1968 trägt
reiches Material zum Europa-Mythos zusammen. Detaillierte Untersuchungen bieten die
Beiträge in Sordi (Hg.) 1986, als Uberblicksdarstellungen s. Kienast 1991 und v.a. die hervor-
ragende, systematische Übersicht bei Demandt 1998; s. daneben auch Chevallier 1998, Ferrary
1994, Flobert 1994, die Beiträge in Renger/Ißler (Hg.) 2009, sowie Cobet 2010. Monographisch
zu den Europa-Vorstellungen in der griechischen Antike Jouanna 2009.