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Oschema, Klaus; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Bilder von Europa im Mittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 43: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34759#0205

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204

Kapitel X

men Europas boten, die als Namensgeber von Orten und Reichen fungieren
konnten oder doch zumindest genealogisch in den Geschichtsverlauf einzu-
betten waren, erwuchs Europa aus diesen Formen der Einbettung in keinem
Fall eine Rolle als >Stamm-Mutter< der den Erdteil bewohnenden Völker.^ Viel-
mehr wurde die Figur der Europa hier gewissermaßen hinter der allegorischen
Deutung zum Verschwinden gebracht, so dass lediglich der Name und das
Motiv des Raubs blieben.^ Immerhin erhielt sich durch diese Interpretation
ebenso wie auf dem Weg der oben angesprochenen Kurzdarstellungen einem
breiteren Publikum die Geschichte der geraubten Prinzessin, die zur Namens-
geberin des Erdteils wurde.

2. König Europs als Alternative?

Konkurrenz erwuchs Europa in dieser Funktion der Namensgeberin lediglich
in eng gestecktem Rahmen und zumeist bestenfalls als Ergänzung: Honorius
Augustodunensis verwies zum Namen des Erdteils nämlich nicht nur auf die
entführte Tochter Agenors, sondern auch auf den Sydonier-König Europs A
Dieser war der zeitgenössischen Historiographie durchaus kein Unbekannter,
zumal er mit einem knappen Hinweis bereits in Isidors »Etymologien« als Va-
ter der Phrygia erwähnt wurde.^ Insofern überrascht es nicht besonders, dass
ihn kurz nach 1100 unter anderem die »Chronik« Frutolfs von Michelsberg er-
wähnte, allerdings ohne ihn mit dem Erdteil als Namengeber in Beziehung zu
setzen.^ Frühere Nennungen sind in den Werken Gregors von Tours oder
Frechulfs von Lisieux zu finden^, später begegnet Europs auch bei Otto von
Freising, Rudolf von Ems und bis hin zu Dietrich EngethusA Dass das Wissen

19 Die Rolle des Stammvaters kam irr der mittelalterlichen Weltdeutung ausschließlich Japhet zu,
s. Kap. XIII1. Verweise auf die Verwandten Europas, also ihre Brüder Cadmos, Cilicus und
Phoinix oder ihre Söhne Minos, Rhadamantus und Aeacus etwa bei Mythographus I, hg. Zor-
zetü/Berhoz 1995, S. 84f. (II46-47) und 113f. (III1); s.a. Mythographi Uaticani I et II, hg. Kulcsär
1987, S. 169 (Mythographus 2, c. 96f.). Zumindest Cadmos und Phoinix erwähnt Wilhelm
von Tyrus, Chronica, hg. Huygens 1986, Bd. 1, S. 584 (XIII1).
20 Ein interessantes Vergleichsbeispiel bieten Theodulus, Ecloga, hg. Mosetti Casaretto 1997,
S. 10, vv. 141-148 (vgl. den Kommentar, ebd., S. 36), und Eupolemius, hg. Manitius 1973,
S. 54, vv. 500-505, die beide die Stierform Jupiters mit dem Goldenen Kalb aus Ex 32,1-4 paral-
lelisieren. Auch hier interessiert damit nicht die Europa-Erzählung als solche. Zu Theodul
s. Herren 2007, hier S. 199f., zur Datierung in das 11. Jh. und zum unbekannten Autor.
21 Honorius Augustodunensis, Imago mundi, hg. Flint 1982, S. 126 (III5): J...J post fürops ptü
EMropam SMNMgauü, A EMropa tü'cÜMr. Zur antiken Überlieferung s. knapp Tümpel 1907.
22 Isidor von Sevilla, Etymologiae, hg. Lindsay 1911, XIV iii 41.
23 Ekkehard von Aura, Chronicon, hg. Waitz/Kilon 1844, S. 36 [Frutolf von Michelsberg]. Der
Text Frutolfs bildet den ersten Teil der Edition (ebd., S. 33-211); die jüngere Edition Frutolf
von Michelsberg, Chronik, hg. Schmale/Schmale-Ott 1972, setzt mit dem Text erst ab der Re-
gierungszeit Kaiser Heinrichs II. ein.
24 Gregor von Tours, Historiarum libri X, hg. Krusch/Levison H951, S. 16 (117); Frechulf von
Lisieux, Historiarum libri XII, hg. Allen 2002, S. 93 (I 2,2).
25 Otto von Freising, Chronica, hg. Hofmeister H912, S. 44-46 (15-7); Rudolf von Ems, Welt-
chronik, hg. Ehrismann 1967, vv. 3560-3564; Dietrich Engelhus, Chronicon, hg. Leibniz 1710,
 
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