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https://doi.org/10.11588/diglit.34759#0408
Unter einem Stern? Europa in Prophetien und Astrologie
407
einer doppelten Einflusslinie auszugehen: vom Vorbild kaiserzeitlicher Histo-
riographie, die in einem humanistischen Umfeld intensiv rezipiert wurde,
und von der Beeinflussung durch das Griechische.^
Die »Europäer« des 15. Jahrhunderts stellten damit keineswegs eine Neuprä-
gung dar, die durch die Polemik der Zeit motiviert gewesen wäre. Es muss of-
fen bleiben, ob die erfolgreiche Durchsetzung der neuen Kategorie ohne die
Bedeutungsaufladung möglich gewesen wäre, die der Europa-Begriff im Vorfeld
durchlaufen hatte und die sich in den untersuchten prophetischen und escha-
tologischen Texten paradigmatisch aufzeigen ließ. Die Anwendungskontexte,
in denen sich die »Europäer« dann letztlich etablieren konnten, hatten auf jeden
Fall nurmehr wenig mit den teilweise hermetischen Ausführungen früherer
Prophetien zu tun. Vielmehr resultierte die Bezeichnung wohl aus einer Mi-
schung konkreter Benennungsbedürfnisse und intellektueller Prägungen, die
den Rückgriff auf antike (oder griechischsprachige) Vorbilder nahelegten. Nicht
in die Zukunft war der Blick damit gerichtet, sondern in eine ferne Vergan-
genheit, deren Kategorien nun wieder sinnvoll einzusetzen waren A'
Aus der hiermit umrissenen Gemengelage konnten aber durchaus produk-
tive Anwendungen des Begriffs erwachsen, wie die 1480 verfasste »Glosa super
apocalipsim« des Annius von Viterbo zeigtA Wie nicht anders zu erwarten,
fasste Annius seine Prophezeiungen, die sich seinem Anspruch gemäß von
seiner Gegenwart bis zum Ende der Welt erstrecken sollten (anno sahzfzs pm-
senh, sczEcef 1481, izszjizc ad^inen; nmndü, in erster Linie mit den Kategorien der
Kirche und der Christenheit. Insgesamt sieben Mal benutzte er aber auch den
Europa-Namen, der einerseits in historischer Ausrichtung bei der Schilderung
des muslimischen Ausgreifens nach Spanien zum Einsatz kam (Eft/spzzzzzzzs in
Enropa sninocornnl)^ andererseits aber auch eine gewisse Eigenständigkeit er-
hielt. Besonders deutlich wird dies im siebzehnten Kapitel der Schrift, das der
piaga nünna Enropo of zzzzczo doslrnclzonzs Enrcizornnz gewidmet ist. Nicht nur
spricht Annius hier von einer piaga Enropo, sondern er stellt auch dem expan-
dierenden osmanischen Reich die Enropo zrgna gegenüber.^ Ganz am Ende
der hier untersuchten Epoche wurde also erneut dem Autor einer eschatolo-
79 Vgl. etwa die Belege bei Karageorgos 1992, S. 158-160, die zum großen Teil bereits bei Ditten
1968 diskutiert wurden, der sich auf das 15. Jh. konzentrierte und Laonikos Chalkokondyles,
Michael Kritobulos von Imbros, Dukas sowie Georgios Sphrantzes in den Mittelpunkt seiner
Analyse stellte.
80 Vgl. bereits den Hinweis von Hiestand 1991, S. 46, sowie Schneidmüller 1997, S. 14f.
81 Annius von Viterbo, Glosa super apocalipsim, in: Paris, BnF, ms. lat. 7335, fol. 144 M66*-. Der
Text ist hier in einer astrologischen Sammelhandschrift überliefert, die u.a. ein 1379 durch Jean
Dupont vollendetes »Abrege« der »Summa judicialis« John Ashendens enthält (ebd., fol. P-
100'"); auf letzteres verweist in ihrer Auflistung der Handschriften mit den Werken Ashen-
dens Carey 1992, S. 190, allerdings unter der fehlerhaften Signatur »Bib. nat. 735«. Annius'
Werk wurde auch zeitnah gedruckt; ich zitiere aus praktischen Gründen aus der genannten
Handschrift. Zum Autor und seinem wohl 1480 in Genua entstandenen Werk s. knapp Thorn-
dike 1923-1958, Bd. 4, S. 264, und Garin 1967, S. 169f.
82 Annius von Viterbo, Glosa super apocalipsim, in: Paris, BnF, ms. lat. 7335, fol. 15P.
83 Ebd., fol. 152"-154"; ebd., fol. 154", auch der Verweis auf die von den Türken unterworfenen
reges Zerre eZ pre/ecZes dicZis FMrope.
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einer doppelten Einflusslinie auszugehen: vom Vorbild kaiserzeitlicher Histo-
riographie, die in einem humanistischen Umfeld intensiv rezipiert wurde,
und von der Beeinflussung durch das Griechische.^
Die »Europäer« des 15. Jahrhunderts stellten damit keineswegs eine Neuprä-
gung dar, die durch die Polemik der Zeit motiviert gewesen wäre. Es muss of-
fen bleiben, ob die erfolgreiche Durchsetzung der neuen Kategorie ohne die
Bedeutungsaufladung möglich gewesen wäre, die der Europa-Begriff im Vorfeld
durchlaufen hatte und die sich in den untersuchten prophetischen und escha-
tologischen Texten paradigmatisch aufzeigen ließ. Die Anwendungskontexte,
in denen sich die »Europäer« dann letztlich etablieren konnten, hatten auf jeden
Fall nurmehr wenig mit den teilweise hermetischen Ausführungen früherer
Prophetien zu tun. Vielmehr resultierte die Bezeichnung wohl aus einer Mi-
schung konkreter Benennungsbedürfnisse und intellektueller Prägungen, die
den Rückgriff auf antike (oder griechischsprachige) Vorbilder nahelegten. Nicht
in die Zukunft war der Blick damit gerichtet, sondern in eine ferne Vergan-
genheit, deren Kategorien nun wieder sinnvoll einzusetzen waren A'
Aus der hiermit umrissenen Gemengelage konnten aber durchaus produk-
tive Anwendungen des Begriffs erwachsen, wie die 1480 verfasste »Glosa super
apocalipsim« des Annius von Viterbo zeigtA Wie nicht anders zu erwarten,
fasste Annius seine Prophezeiungen, die sich seinem Anspruch gemäß von
seiner Gegenwart bis zum Ende der Welt erstrecken sollten (anno sahzfzs pm-
senh, sczEcef 1481, izszjizc ad^inen; nmndü, in erster Linie mit den Kategorien der
Kirche und der Christenheit. Insgesamt sieben Mal benutzte er aber auch den
Europa-Namen, der einerseits in historischer Ausrichtung bei der Schilderung
des muslimischen Ausgreifens nach Spanien zum Einsatz kam (Eft/spzzzzzzzs in
Enropa sninocornnl)^ andererseits aber auch eine gewisse Eigenständigkeit er-
hielt. Besonders deutlich wird dies im siebzehnten Kapitel der Schrift, das der
piaga nünna Enropo of zzzzczo doslrnclzonzs Enrcizornnz gewidmet ist. Nicht nur
spricht Annius hier von einer piaga Enropo, sondern er stellt auch dem expan-
dierenden osmanischen Reich die Enropo zrgna gegenüber.^ Ganz am Ende
der hier untersuchten Epoche wurde also erneut dem Autor einer eschatolo-
79 Vgl. etwa die Belege bei Karageorgos 1992, S. 158-160, die zum großen Teil bereits bei Ditten
1968 diskutiert wurden, der sich auf das 15. Jh. konzentrierte und Laonikos Chalkokondyles,
Michael Kritobulos von Imbros, Dukas sowie Georgios Sphrantzes in den Mittelpunkt seiner
Analyse stellte.
80 Vgl. bereits den Hinweis von Hiestand 1991, S. 46, sowie Schneidmüller 1997, S. 14f.
81 Annius von Viterbo, Glosa super apocalipsim, in: Paris, BnF, ms. lat. 7335, fol. 144 M66*-. Der
Text ist hier in einer astrologischen Sammelhandschrift überliefert, die u.a. ein 1379 durch Jean
Dupont vollendetes »Abrege« der »Summa judicialis« John Ashendens enthält (ebd., fol. P-
100'"); auf letzteres verweist in ihrer Auflistung der Handschriften mit den Werken Ashen-
dens Carey 1992, S. 190, allerdings unter der fehlerhaften Signatur »Bib. nat. 735«. Annius'
Werk wurde auch zeitnah gedruckt; ich zitiere aus praktischen Gründen aus der genannten
Handschrift. Zum Autor und seinem wohl 1480 in Genua entstandenen Werk s. knapp Thorn-
dike 1923-1958, Bd. 4, S. 264, und Garin 1967, S. 169f.
82 Annius von Viterbo, Glosa super apocalipsim, in: Paris, BnF, ms. lat. 7335, fol. 15P.
83 Ebd., fol. 152"-154"; ebd., fol. 154", auch der Verweis auf die von den Türken unterworfenen
reges Zerre eZ pre/ecZes dicZis FMrope.