Unter einem Stern? Europa in Prophetien und Astrologie
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Aus dem umfangreichen Textmaterial, das dem Bereich der >Astrologie< zu-
gerechnet werden kannA erscheinen zwei spezifische Gattungen für die Frage
nach Europa besonders interessant: allgemein orientierte Traktate, welche die
Grundlagen, Inhalte und Methoden der astrologischen Praxis vermitteln, und
konkrete Vorhersagen, die entweder angesichts spezifischer astrologischer Er-
eignisse (große Konstellationen und Meteor-Erscheinungen) verfasst wurden
oder als Prognostiken für einen bestimmten Zeitraum angelegt sind. Wie ich
im Folgenden zeigen werde, erweist sich das einführende oder systematisieren-
de Schrifttum nur als bedingt aussagekräftig für meine Fragestellung, bietet aber
eine wichtige Grundlage für die Begründung der potentiellen Fruchtbarkeit
astrologischer Texte. Der Schwerpunkt der Darstellung wird dann auf den so-
genannten liegen, also auf fahresvorhersagen, die auf der Grund-
lage meist astrologischer Beobachtungen mehr oder weniger detaillierte Prog-
nosen über die unmittelbare Zukunft abgabenA
4.2. Astrologisches Wissen im Mittelalter
Die Tradition astrologischer Prognostiken in der Form von Geburtshoroskopen
oder als Instrument zur Tages wähl besitzt eine lange Vorgeschichte, die noch
über die klassische Epoche der griechisch-römischen Antike bis hin zu ersten
Entwicklungen im babylonischen Kulturkreis zurückzuverfolgen istV Da die
Ausübung astrologischer Praktiken neben der präzisen Beobachtung astrono-
mischer Ereignisse und Rege) ha fti gkei ten auch fortgeschrittene mathematische
Kenntnisse voraussetzt, war der Übergang der Spätantike zum frühen Mittel-
alter mit einem merklichen Bedeutungsrückgang der Astrologie verbunden.
85 Die Astrologie des Mittelalters und das mit ihr verbundene Schrifttum fanden in der mediä-
vistischen Forschung lange nur am Rande Beachtung. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten
wurden beide (erneut) verstärkt zum Gegenstand historischer Untersuchungen, vgl. die in
Kap. XIV, Anm. 3, genannten Titel. Neuere Ansätze im Sinne mentalitäts- und kulturhistori-
scher Zugriffe entwickelten sich seit den 1990er Jahren, s. etwa Smoller 1994, und die Arbeiten
der Schüler J.D. Norths, wie Carey 1992 und Snedegar 1988. Wichtige Beiträge, die sich vor
allem auf die mathematisch-komputistischen Aspekte der mittelalterlichen Astrologie kon-
zentrierten, legte J.D. North selbst vor, s. North 1986, ders. 1987 und den magistralen, epochen-
übergreifenden Überblick in ders. 2008. Aus der älteren Literatur sei hier noch hingewiesen
auf Boll/von Bezold/Gundel d 977, von Bezold 1918 [orig. 1892] und Bauer 1937. Für zahlreiche
Einzelaspekte s.a. die Sammelbände Curry (Hg.) 1987 (v.a. Lemay 1987) und Bergdolt/Lud-
wig (Hg.) 2005.
86 Trotz der stärkeren Zuwendung, welche die astrologischen Texte des Mittelalters in den letzten
Jahren erfuhren, blieben die JMCÜCM ann; wenig bearbeitet; eine Ausnahme stellt der kurze
Beitrag von Contamine 1985 dar. Gründe für diese Missachtung sind u.a. die häufig repehtiv-
monotone Anlage der Texte sowie die Editionslage, da die Texte zumeist in handschrift-
licher Form eingesehen werden müssen; vgl. für einen ersten Eindruck die Angaben im
Repertorium von Markowski 1990. Die JMCÜCM anni, die als situativ ausgerichtete >Gelegen-
heitsliteratur< bezeichnet werden können, verdienen zweifelsohne eine systematischere Auf-
arbeitung, können sie doch wertvolle Anhaltspunkte für die Untersuchung weiterführender
Fragen bieten, etwa hinsichtlich der Entstehung von Expertenkulturen und der praktischen
Lebens- und Politikberatung, vgl. jüngst Pangerl 2010.
87 Zu den Gattungen der astrologischen Prognostik knapp Beskow 1979, S. 278; die antiken
Wurzeln im Überblick bei Pingree 1979; s.a. Tester 1990 [1987].
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Aus dem umfangreichen Textmaterial, das dem Bereich der >Astrologie< zu-
gerechnet werden kannA erscheinen zwei spezifische Gattungen für die Frage
nach Europa besonders interessant: allgemein orientierte Traktate, welche die
Grundlagen, Inhalte und Methoden der astrologischen Praxis vermitteln, und
konkrete Vorhersagen, die entweder angesichts spezifischer astrologischer Er-
eignisse (große Konstellationen und Meteor-Erscheinungen) verfasst wurden
oder als Prognostiken für einen bestimmten Zeitraum angelegt sind. Wie ich
im Folgenden zeigen werde, erweist sich das einführende oder systematisieren-
de Schrifttum nur als bedingt aussagekräftig für meine Fragestellung, bietet aber
eine wichtige Grundlage für die Begründung der potentiellen Fruchtbarkeit
astrologischer Texte. Der Schwerpunkt der Darstellung wird dann auf den so-
genannten liegen, also auf fahresvorhersagen, die auf der Grund-
lage meist astrologischer Beobachtungen mehr oder weniger detaillierte Prog-
nosen über die unmittelbare Zukunft abgabenA
4.2. Astrologisches Wissen im Mittelalter
Die Tradition astrologischer Prognostiken in der Form von Geburtshoroskopen
oder als Instrument zur Tages wähl besitzt eine lange Vorgeschichte, die noch
über die klassische Epoche der griechisch-römischen Antike bis hin zu ersten
Entwicklungen im babylonischen Kulturkreis zurückzuverfolgen istV Da die
Ausübung astrologischer Praktiken neben der präzisen Beobachtung astrono-
mischer Ereignisse und Rege) ha fti gkei ten auch fortgeschrittene mathematische
Kenntnisse voraussetzt, war der Übergang der Spätantike zum frühen Mittel-
alter mit einem merklichen Bedeutungsrückgang der Astrologie verbunden.
85 Die Astrologie des Mittelalters und das mit ihr verbundene Schrifttum fanden in der mediä-
vistischen Forschung lange nur am Rande Beachtung. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten
wurden beide (erneut) verstärkt zum Gegenstand historischer Untersuchungen, vgl. die in
Kap. XIV, Anm. 3, genannten Titel. Neuere Ansätze im Sinne mentalitäts- und kulturhistori-
scher Zugriffe entwickelten sich seit den 1990er Jahren, s. etwa Smoller 1994, und die Arbeiten
der Schüler J.D. Norths, wie Carey 1992 und Snedegar 1988. Wichtige Beiträge, die sich vor
allem auf die mathematisch-komputistischen Aspekte der mittelalterlichen Astrologie kon-
zentrierten, legte J.D. North selbst vor, s. North 1986, ders. 1987 und den magistralen, epochen-
übergreifenden Überblick in ders. 2008. Aus der älteren Literatur sei hier noch hingewiesen
auf Boll/von Bezold/Gundel d 977, von Bezold 1918 [orig. 1892] und Bauer 1937. Für zahlreiche
Einzelaspekte s.a. die Sammelbände Curry (Hg.) 1987 (v.a. Lemay 1987) und Bergdolt/Lud-
wig (Hg.) 2005.
86 Trotz der stärkeren Zuwendung, welche die astrologischen Texte des Mittelalters in den letzten
Jahren erfuhren, blieben die JMCÜCM ann; wenig bearbeitet; eine Ausnahme stellt der kurze
Beitrag von Contamine 1985 dar. Gründe für diese Missachtung sind u.a. die häufig repehtiv-
monotone Anlage der Texte sowie die Editionslage, da die Texte zumeist in handschrift-
licher Form eingesehen werden müssen; vgl. für einen ersten Eindruck die Angaben im
Repertorium von Markowski 1990. Die JMCÜCM anni, die als situativ ausgerichtete >Gelegen-
heitsliteratur< bezeichnet werden können, verdienen zweifelsohne eine systematischere Auf-
arbeitung, können sie doch wertvolle Anhaltspunkte für die Untersuchung weiterführender
Fragen bieten, etwa hinsichtlich der Entstehung von Expertenkulturen und der praktischen
Lebens- und Politikberatung, vgl. jüngst Pangerl 2010.
87 Zu den Gattungen der astrologischen Prognostik knapp Beskow 1979, S. 278; die antiken
Wurzeln im Überblick bei Pingree 1979; s.a. Tester 1990 [1987].