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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 7.1908

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Schur, Ernst: Albert Gessner, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.23632#0015
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MODERNE BAUFORMEN

MOMATSHEFTE FÜR ARCHITEKTUR

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ALBERT GESSNER

VON ERNST SCHUR-BERLIN

I.

Die grossstädtische Architektur, wie wir sie bis
vor kurzem kannten, schwankt zwischen zwei
Polen: der überladenen Prachtfassade und der öden
Mietskaserne. Einmal die simpelste Monotonie, dann
die sinnwidrigste Vielheit. In beiden Fällen fehlt
jeder Versuch, ein organisches Ganzes aufwachsen
zu lassen und ihm nach aussen wie nach innen eine
zweckentsprechende Form zu geben. Ja, in dieser
Hinsicht kann die wirklich schmucklose Mietkaserne
noch vorbildlicher sein, da sie wenigstens nicht
wie der Privatbau etwas vortäuschen will und im
Grunde den notwendigen Kern unverhüllt birgt.
Mischformen bilden den Uebergang, jene Miet-
häuser, die in minderwertigem Material den Prunk
der überladenen Fassade imitieren wollen. Der
Stil des modernen grossstädtischen Miethauses ist
also erst zu finden. V

V Im Landhaus bildete sich ein neuer Typus, der
insofern vorbildlich werden konnte, als hier ver-
sucht wurde, für vorliegende Bedürfnisse einen
architektonischen Ausdruck zu finden, der das
Praktische mit dem Schönen vereint, ganz frei blieb
von falscher, vortäuschender Formensprache und
an die Stelle der Protzerei die Intimität des Ein-
drucks setzte. V

II.

V Man muss sich diese Entwicklung vor Augen
halten, um zu verstehen, worin die Bedeutung
Albert Gessners liegt. Speziell für die Gross-
stadt, deren Strassenfronten so unsäglich gelitten
haben, indem sie dem Auge fast nur falschen Prunk
oder schäbige Aermlichkeit zeigen. Gessner hat
hier einen Ausweg gefunden. V

V Seine Bauten sind deswegen interessant, weil sie
deutlich die Absicht verraten, dem grossstädtischen
Miethaus das Kasernenartige wie das Palastmässige
zu nehmen und an deren Stelle eine wohltuende,
geschmackvolle Intimität zu setzen; eine Intimität,
die nichts vortäuscht, nichts verhüllt, die offen

ihren eigenen, neugeprägten Charakter zur Schau
trägt. Wir stehen hier in der Tat vor einem neuen
Typus, und es ist anzunehmen und zu hoffen, dass
dieses selbständige Vorgehen Gessners Schule
machen wird, damit in nachhaltiger Arbeit das
Strassenbild Berlins späterhin ein würdigeres Aus-
sehen erhält. V

V Man merkt, dieser Architekt kommt nicht von

Stilerörterungen her — seien diese auch noch so
modern. Die Praxis leitet ihn. Er zwingt nicht
die Formensprache zu einer Extravaganz des Aus-
drucks, die auffallen soll; sondern er berücksichtigt
die Notwendigkeit. Er denkt an die Forderungen
des Alltags. Und er versteht, all dem eine Ge-
staltung zu geben, die passend und bequem, eigen
und schön ist. Er weiss, dass das die Erfordernisse
des Bauens sind. Gessner’s Häuser verleugnen
nicht den Charakter des Miethauses. Sie haben
aber die Schönheit und Intimität der alten Häuser
in kleinen Städten, ins Grossstädtische, Moderne
umgebildet und weiterentwickelt. V

V Ein Hauptaugenmerk richtet Gessner darauf, die
F a s s a d e abwechslungreich zu gestalten; er erreicht
das durch zweckentsprechende Anlage des Grund-
risses. Er belebt dadurch die Fassade von innen
heraus. So hat Gessner in dem „Grünen Haus“,
obgleich er an die kleine Grundfläche gebunden
war und drei riesige Brandmauern fertig standen,
eine wohltuende Abwechslung in die Anlage zu
bringen gewusst. In jedem Geschoss sind je zwei
fünfzimmrige Wohnungen; drei Zimmer liegen nach
vorn, zwei nach hinten. Dazwischen befindet sich
die Diele als Eintrittsraum. Um einen kleinen
Nebenhof sammeln sich die Wirtschaftsräume,
Küche, Anrichte, die dadurch ausgeschaltet sind.
Nach hinten heraus liegen die Schlafzimmer, mit
Loggien. Dadurch, dass der eine Flügel der Rück-
front weiter ausgreift, der andere kompakter zurück-
gehalten ist, ergibt sich zwanglos eine eigenartige
Ausgestaltung des Hofes, der durch seine garten-

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