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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 7.1908

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Brinckmann, A.: [Beilage]: Die Württembergische Bauausstellung Stuttgart 1908
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https://doi.org/10.11588/diglit.23632#0723
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DIE WÜRTTEMBERGSSCHE BAUAUSSTELLUNG STUTTGART 1908

VON DR. A. BRINCKMANN-STUTTGART

Häuser sind zum Bewohnen da, nicht zum Be-
sehen! Dieser alte Ausspruch des Engländers
Bacon mag angesichts derBauausstellung, derenzahl-
reiche Einzelbauten gerade von möglichst Vielen be-
sehen sein wollen, wenig angebracht erscheinen.
Nun! er soll an dieser Stelle nur an jene unheil-
vollen Folgen erinnern, die die Nichtachtung' dieser
scheinbar müssigen Weisheit bewirkt hat.

V Welches Verhältnis hat denn in den meisten
Fällen selbst der gebildete Laie zur Architektur?
Architektur ist ihm ein Stilbegriff; über Architektur
redet er mit, sofern er notdürftig die Säulenord-
nungen oder Gotik und Rokoko auseinander zu
halten vermag. Aber nur solange am Aussenbau
recht viele Schmuckformen zu sehen sind, fühlt
er sich zu Lob und Tadel wie berufen; sobald es
sich jedoch um Grundrisse und um räumliche Wir-
kungen handelt, erlahmen Interesse und Urteilslust
sofort. Für solchen echten Laienstandpunkt können
allerdings die wenigsten verantwortlich gemacht
werden, wo doch die Herren Architekten selber im
Laufe des 19. Jahrhunderts das Wesen der Archi-
tektur so absolut verkannt haben. Architektur be-
deutete ja nicht mehr Raumgestaltung, sondern ein
mehr oder minder geschicktes Zusammenfügen von
Massen nach bestimmten Stilen. V

Ist diese Tatsache des steten äusserlichen Rück-
griffs auf historische Stilformen für die zweite Hälfte
des 19. Ja'nrhunderts auch allgemein bekannt, so
kann doch nie genug betont werden, wie gross der
Schaden ward und zwar speziell für die deutsche bürger-
liche Baukunst. Einmal auf falschem Geleise führte
gedankenlose Stilnachahmung in den 70 er Jahren,
den Zeiten des erhöhten Nationalgefühls und des
vermehrten Wohlstands, zur Ubertragung des Monu-
mental- und Palaststils auch auf das Bürgerhaus —
aussen wie innen. Und dieses wurde um so gründ-

licher bewirkt, als das Jahrhundert der Erfindungen
uns gleichzeitig so reich mit jenen schönen Hilfsmitteln
beglückt hatte, die es dem modernen Menschen
gestatten, jegliche Materialien durch billige Surro-
gate zu ersetzen. Nur so ist es möglich gewesen, dass
bis in die kleinsten Ortschaften jene schrecklichen
Gebilde aus Backstein oder Zement Eingang fanden,
die irgendeinen Stil, vornehmlich „Renaissance“
nachahmen sollten. V

V Welche Flut von Ungeschmack, die nicht nur für

die Architektur verhängnisvoll war, hat sich dabei über
Stadt und Land ergossen! Auch die Möblierung der
Häuser musste unter der Wirkung Prunk vortäuschen-
der Stilbauten, unpraktischer Raumeinteilung, lüg-
nerischen Materials in Mitleidenschaft gezogen
werden. Nicht genügend wird meistens dieser
Wechselwirkung gedacht, wie ja auch erst langsam
die Erkenntnis dämmert, dass es zwischen dem
Schaffen des Architekten und des Kunstgewerblers
iiberhaupt keine Grenzlinie gibt. V

V Wie sehr bei uns alles mit Stilfragen verknüpft
war, hat nichts besser bewiesen als jene erste Zeit
einer nach Neuem ringenden Kunst, wo die ge-
schwungene Linienführung zum Stilausdruck wurde,
wo man meinte, es sei schon Wunder wie viel er-
reicht, wenn man nur recht „sezessionistisch“ schaffe.
Aber da man wiederum nur äusserlich mit den vom
Maler gefundenen Formen gewirtschaftet hatte,
ward das Ubel eher noch schlimmer als zur Zeit der
historischen Stilschwärmerei. Gott sei Dank hat
der Zauber nicht lange angehalten. Ja sogar in
kunstgeschichtswidriger Schnelligkeit verschwanden
jene Dinge, die wir heute als Kinderkrankheiten
der modernen Kunst anzusehen berechtigt sind.
Damit ist also schon gesagt, dass wir endlich doch
einen Schritt aufwärts getan, dass wir uns etwas
zu schaffen beginnen, was wirklich modern ist und
 
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