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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 7.1908

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Nr. 6
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Osborn, Max: Ein modernes märkisches Waldschlösschen: ("Molchow-Haus" bei Alt-Ruppin)
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https://doi.org/10.11588/diglit.23632#0301
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VII

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MODERNE BAUFORMEN

MONATSHEFTE FUR ARCHITEKTUR

EIN MODERNES MÄRKISCHES WALDSCHLÖSSCHEN

(„MOLCHOW-HAUS“ BEI ALT-RUPPIN)

VON DR. MAX OSBORN-BERLIN

Von Neu-Ruppin, der Schinkel- und Fontane-
Stadt, führt zwischen hohen Linden und
Kastanien eine schattige Allee nach dem kleineren
Schwesterstädtchen, das am Einfluss des Rhin in
den Ruppiner See zwischen Gärten und Waldungen
und sanften Hiigelsenkungen gebettet liegt: nach
Alt-Ruppin. Dies aber ist das „Luzern“ der wasser-
reichen, von ernster Anmut erfüllten „Ruppiner
Schweiz“, die ihren stolzen Namen mit gar lieb-
licher Wiirde trägt. Nordwärts fiihrt uns der Rhin
seinem Lauf entgegen durch eine prächtige Kette
weiter Seen, die von milden Höhenziigen, von Dör-
fern, Wäldern, Förstereien und Wassermiihlen
schmuck umsäumt werden. Hier ist rechtes mär-
kisches Land: viel weicher, tiefer, weisser Sand
und endlose Scharen verträumter schlanker Kiefern,
mit hellen Birkenstämmchen untermischt. Und alt-
brandenburgische, preussisch-historische Erinner-
ungen, friderizianische zumal, schwirren zu Hun-
derten durch die Luft. Noch ehe das erste grosse
Wasserbecken, der Molchow-See, sichtbar wird, von
wo es weiter geht zum Zermiitzel-, zum Tornow-,
zum Rheinsberger See und zum Grossen Stechlin,
grüsst uns das rauschende Gefäll des ersten Miihl-
wehrs. Nicht weit davon aber — was schimmert
da hell durch das Nadelgehölz? Ein Herrensitz?
Seltsame, fremde Bauformen tauchen auf. Breite,
freie Giebel, doch nicht die Staffeln der märkischen
Gotik, nicht die verschämten Schnörkelkonturen
der niederdeutschen Barock-Dachstirnen. Und ein
Turm reckt sich in die Luft, aber er trägt nicht
die charakteristischen Hauben der alten Schloss-
und Herrenhaustürme der Grafschaft Ruppin. V
V Das ist Paul Remers „M ol c h o w-H au s“,
eines der schönsten und merkwiirdigsten Gebäude,
die sich im Bereich der deutschen Streusandbüchse
erheben. Ein feiner blonder Poet aus dem Mecklen-
burgischen drüben, von unverfälschtem Obotriten-
typus, hat es errichtet, für sich, seine berlinische

Gattin und sein lustiges Töchterchen (ein bischen
auch für seine Freunde). Und zwei finnische Künst-
Ier, die Herren G e s e 11 i u s und S aa r i n en, haben
es gebaut. Selten wohl haben Bauherrschaft und
Architekten so einträchtig und gleichgesinnt zum
und beim Bau eines Hauses zusammengewirkt, sich
gegenseitig so verständnisinnig angeregt und ge-
fördert, wie es hier geschehen. In ruhiger, bedach-
ter, liebevoller Arbeit, ohne schnellfertige Hast,
ist dadurch eine Schöpfung zustande gekommen,
die ihresgleichen sucht, aussen und innen aus
einem Geist und einem Guss, und aussen wie
innen eine organische Mischung der Elemente, die
sich dazu vereinigt haben. Moderne Kunstgedanken
und weltstädtischer Komfort, germanische Sehn-
sucht nach grossen, monumentalen Formen und die
reife Lebens- und Wohnkultur der Nordländer,
die gesunde Freude an reicher und kluger Ver-
wertung des einheimischen Holzes, in der sich der
Finne und der Märker begegneten, der Sinn für
schlichte und tüchtige Handwerksarbeit und für
entwicklungsfähigeMotivederbodenständigenUeber-
lieferung, der ihnen gemeinsam ist, — das alles
zusammen schuf, unter dem Zeichen eines edlen,
sichern Geschmacks, das „Molchow-Haus“. V
V Gleich nach der Mühle überschreiten wir, auf
breiter hölzerner Fahrbrücke, den Rhin. Dann gehts
durch hohen Kiefernwald, und jetzt biegen wir in
eine weitgestreckte, schnurgerade Allee, eine mühe-
voll ausgeholzte Lichtung, ein. Anihrem Ende stösst
der Blick auf den prächtigen Aspekt der imposanten
Hauptgiebelfront. Unmittelbar vor dem Eingang
wird der breite Weg zur Anfahrt im Kreise herum-
geführt, und die Steinbrüstung, die dies Rondell
umzieht, gibt gleich ein Grundmotiv der Aussen-
architektur an: sie ist aus dem Granit des Find-
lingsgesteins der Gegend hergestellt, wie es die
Baumeister des mittelalterlichen Berlin im drei-
zehnten Jahrhundert benutzten, ehe der Backstein-

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