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MODERNE BAUFORA\EN

MONATSHEFTE FÜR ARCHITEKTUR

GARTENSTADT UND BAUKUNST

VON HANS KAMPFFMEYER-KARLSRUHE

Das letzte Jahrhundert brachte eine vollständige
Umwandlung der Technik, die den Uebergang
von der handwerklichen zur industriellen Produk-
tion und im Zusammenhang damit eine vollständig
neue Verteilung der Bevölkerungsmassen über das
Land zur Folge hatte. Das flache Land wurde ent-
völkert und gewaltige Menschenmassen ballten sich
in den Industriegebieten zusammen. In der Nähe
der Grossstädte entstanden blühende Vororte, und
kleine Industriedörfer entwickelten sich in wenig
Jahrzehnten zu mächtigen Städten. Ich denke hier
z. B. an das Entstehen der Berliner Vororte und
der Industriestadt Gelsenkirchen, deren Einwohner-
schaft binnen zweier Jahrzehnte von 6000 auf
120000 Einwohner stieg. Eine derartige Entwicke-
lung brachte jeweilig eine erhöhte Nachfrage nach
Wohnungen und Baugelände. Die Folge war ein
Anschwellen der Miets- und Bodenpreise und ein
Ueberhandnehmen der Bau- und Geländespeku-
lation, die den künftigen Wertzuwachs schon im
voraus einzuheimsen wünschte. V

V So entstand das moderne Wohnungsproblem, an
dessen Lösung nicht nur die Arbeiter sondern weite
Bevölkerungsschichten bis hinein in die wohlhaben-
den Kreise persönlich interessiert sind. Am här-
testen werden durch die gegenwärtigen Missstände
natürlich die Minderbemittelten getroffen, die für
durchaus unzureichende Wohnungen häufig ein
Viertel ja ein Drittel ihres Gesamtverdienstes aus-
geben müssen. Doch auch zahlreiche Beamte,
Aerzte, Künstler, Gelehrte leiden darunter, dass sie
sich nicht denjenigen Wohnungskomfort verschaffen
können, auf den sie durch ihre kulturellen Bedürf-
nisse angewiesen sind. V

V An einer gründlichen Wohnungsreform ist nun
vor allem die Baukunst interessiert, der die schwie-
rige Aufgabe gestellt ist, unsere mannigfachen Wohn-
bedürfnisse auf eine wirtschaftlich, technisch und
künstlerisch möglichst vollkommene Weise zu be-
friedigen. V

V Insbesondere wird dem Architekten immer wie-

der der Zusammenhang seiner Kunst mit der Boden-
frage entgegengetreten sein. Für den Bau von
Wohnungen ist der Besitz des Baugrundes die erste,
selbstverständliche Voraussetzung und sein Preis
wird für die Lösung einer Bauaufgabe sehr wichtig
sein. Nehmen wir an, es sollen für den Preis von
je 20000 M. Wohnungen erstellt werden. Dann
wird bei einem Preis von 3 M. für den □ m bau-
reifen Geländes ein anmutiges Landhaus inmitten
eines leidlich grossen Gartens geschaffen werden
können. Muss man dagegen für den □ m 50 und
mehr Mark bezahlen, so muss man die geschlossene
Bauweise anwenden, auf den Garten Verzicht Ieisten
und mehrere solcher Wohnungen zu einem Miets-
haus übereinandertürmen. Dieselbe Berücksich-
tigung verlangen die Bodenpreise bei der ganzen
Stadtgestaltung. Mit der Anlage von öffentlichen
Plätzen, Parkanlagen, Spielplätzen muss häufig ge-
spart werden, weil der Boden innerhalb der be-
stehenden Städte zu teuer ist. Aus demselben
Grunde kommen Monumentalbauten vielfach nicht
an die geeignete Stelle oder müssen mit einer ängst-
lichen Ausnützung jeden Quadratmeter Bodens er-
richtet werden. Aus allen diesen Andeutungen geht
die Wichtigkeit hervor, die eine gemeinnützige
Regelung der Bodenpreise für das baukünstlerische
Schaffen haben müsste. V

V Dieses Ziel hat die Gartenstadtbewegung. Ihre
Vertreter knüpfen dabei an ganz bestimmte volks-
wirtschaftliche Entwickelungstendenzen an. Das
übermässige Steigen der Bodenpreise, von dem
eingangs die Rede war, veranlasst nämlich zahl-
reiche Fabriken, den teuern Grossstadtboden zu
verlassen und sich auf dem billigeren Boden der
Vorstädte oder des flachen Landes niederzulassen.
In vielen Fällen nehmen die Betriebe den Bau von
Arbeiterwohnungen selbst in die Hand und es ent-
stehen auf diese Weise ganz neue Siedlungen, die
in technischer und neuerdings bisweilen auch in
künstlerischer Hinsicht Vortreffliches bieten, wie
die Kruppschen Arbeiterdörfer (Architekt: Baurat

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