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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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PETER VON DER RENNEN UND ANDREAS
SCHLÜTER Von LUDWIG KAEMMERER
Mit fünf Abbildungen auf fünf Tafeln ......
Die geschichtliche Würdigung der Kunst in den heute mit so lebhafter nationaler
Heftigkeit umstrittenen Ostbezirken der preußischen Monarchie muß ausgehen
von der hinlänglich erwiesenen Tatsache, daß diese Gegend bis ins XVII. Jahr-
hundert fast ausschließlich rezeptives Kolonialland fremder Kulturen gewesen ist,
— einer Tatsache, die von einsichtigen und ^historisch gebildeten Nationalpolen
ebensowenig bestritten werden kann, wie von fanatischen Deutschtümlern der
Niederschlag solcher Kolonialkultur, soweit sie deutschen Quellen entstammt, in
seiner Bedeutung für Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft überschätzt werden
sollte. —
Der deutsche Kunsthistoriker wird die Fäden, die sich von der früher entwickelten
Kultur des Westen shinüberspinnen zu der des slavischen Ostens, mit der gleichen
Gelassenheit und Unparteilichkeit verfolgen, mit der er den Einschlag slavischer
Sondereigentümlichkeiten auf ihren entwicklungsgeschichtlichen Wert abschätzt.
Die Aufnahme- und Anpassungsfähigkeit des eingesessenen slavischen Volksstamms
verdient eine ähnliche Anerkennung, wie die Aneignungskraft der Germanen aus
der überlegenen westlichen, d. h. romanischen Kolonialkultur des frühen Mittelalters
unsere Bewunderung erweckt. Es kommt ja bei dem Austausch von Bildungs-
werten nicht sowohl darauf an, von wem man lernt, als vielmehr darauf, was
man lernt, und was man mit dem Gelernten anzufangen versteht. Der Naturforscher
hat für ähnliche Vorgänge im Leben der Gesteine, Pflanzen und Tiere (Endosmose)
Gesetze aufgestellt, und ich bediene mich seines auch von Lamprecht angenommenen
Ausdrucks, wenn ich das endosmotische Äquivalent des Slaventums gegen-
über fremden Einflüssen als ein besonders starkes bezeichne, d. h. das Maß von
Selbsteigenem, was die Slaven preisgeben mußten, um Platz für die eindringenden
Kulturwerte zu gewinnen.
Zu den recht erheblichen Mitteln, die polnische Machthaber — weltliche wie
geistliche — seit je für bildende Kunst aufgewandt haben, stehen freilich die
Leistungen, die sie dafür eingetauscht, vor allem aber die dadurch erzielten Fort-
schritte eignen Könnens in recht unbefriedigendem Verhältnis. Der slavische Osten
wurde seit dem XV. Jahrhundert — und erst seit dieser Zeit kann man ja von einer
lebhafteren Wanderkunst und von exterritorialem Kunsthandel sprechen — als will-
kommenes Absatzgebiet für Waren angesehen, die in der westlichen oder südlichen
Heimat nicht mehr vollen Wert hatten; sie wurden dem rückständigen aber auf-
wändigen Geschmack der Polen angepaßt, und hier erschloß sich zahlreichen, da-
heim überschüssigen oder ungenügend versorgten Kunstkräften ein willkommener,
zeitweilig eifrig umworbener östlicher Markt. Im XV. und noch im Anfang des
XVI. Jahrhunderts ist Deutschland, besonders Franken und Nürnberg — wegen
seiner lebhaften Handelsbeziehungen zu der polnischen Königsstadt Krakau — die
Nährmutter polnischer Kunst; im XVI. Jahrhundert strömt dann — verhältnismäßig
früh — aus Oberitalien über Ungarn, Böhmen und Sachsen neue Künstlerkraft
nach dem Nordosten. Das Zeitalter König Sigismund I. und seiner Gemahlin aus
mailändischem Fürstenstamm zeitigt in Polen eine reiche, im wesentlichen italieni-
sche Renaissancekultur; die endgültige Identifizierung von Polentum
und Katholizismus, wie sie in der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts nach

Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft x.

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