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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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Da haben wir also den gesuchten Knaben der auf einer Gans reitet, und zwar in
einem guten Exemplar und an einer den Künstlern zugänglichen Stelle. Die Samm-
lungen der Familie Savelli in ihrem Palaste im Theater des Marcellus (jetzt Pal.
Orsini) zählten zu den besten Sammlungen zweiten Ranges im Rom der Renaissance
und wurden öfters von Künstlern und Gelehrten besucht; auch der Bologneser Aldro-
vandi konnte sich dort im Jahre 1550 für seine „Statue" Notizen machen. Doch
sah er unser Stück nicht mehr und auch später ist es in der Sammlung Savelli
nicht wiederzufinden1). Wenn wir uns also auch keine genaue Vorstellung von
der antiken Gruppe machen können, so kann doch wohl über die Abhängigkeit der
Gruppe des Mabuse von ihr kein Zweifel sein.
Doch wie haben wir uns die Wirkung des Kunstwerkes auf den Maler zu denken?
Hat er sich vielleicht, als er die Antikensammlungen der ewigen Stadt an der Hand
des besten damaligen Führers, eben jenes „Prospectivo Melanese", besuchte, vor
dem Original eine Skizze gemacht und diese dann bei dem Gemälde benutzt? Das
ist das natürlichste und scheint am plausibelsten; doch führt die genauere Be-
trachtung des Bildes auf den Gedanken, daß der Prozeß etwas verwickelter war.
Bei dem übrigen Statuenschmuck in der Architektur nämlich ist noch der plastische
Charakter der Figuren gewahrt und sogar das Material zum Ausdruck gebracht
worden; der Putto mit der Gans dagegen ist schon malerisch aufgefaßt und deutet
auf Rubenssche Statuennachbildungen hin; ferner bemerkt man an dem Knaben
das lionardeske „sfumato" und eine für Lionardo bezeichnende Zeigebewegung.
Erinnern wir uns nun, daß es ein Lionardoschüler war, der den puttino in Casa
Savelli als besonders bewundernswert hervorhob, so liegt die Vermutung nahe, daß
die malerische, lionardeske Auffassung der Figur bei Mabuse — wohl die erste
Spur dieses Einflusses bei ihm — darauf zurückgeht, daß er ein Vorbild aus der
Lionardoschule benutzte, welches seinerseits schon die Übersetzung der Skulptur
ins Malerische vollführt hatte.
Bei dem Bestreben nun, aus der Nachbildung Gossaerts das antike Vorbild her-
auszuerkennen, kommt uns ein zweites vlämisches Bild zu Hilfe, auf dem ein
Knabe mit der Gans vorkommt, der offenbar von derselben antiken Gruppe ab-
stammt wie der des Mabuse. Die Brunnenfigur auf dem Gemälde mit der Hoch-
zeit des Teniers bei Baron Rothschild in London nämlich gibt nichts weiter als
eine etwas anders ergänzte, ganz von der rechten Seite genommene Ansicht des
Savellischen Marmors. Der Knabe berührt wie bei Mabuse mit dem linken Bein
noch den Boden, während das rechte frei in der Luft schwebt, und er faßt ebenso
mit der linken Hand den Hals des Vogels. Stark abweichend scheinen allerdings
die Flügel, die bei Mabuse am Putto sitzen, während sie bei Teniers der Gans
gehören sollen; doch sind sie in beiden Fällen freie Ergänzung des Malers, da ja
das antike Original einen sterblichen Knaben und keinen Eros darstellte. Wenn
ferner der zerquetschte Hals des Vogels bei Teniers auffällt, so soll die starke
Pressung offenbar nur das Wasserspeien motivieren, ist also lediglich durch den
Gebrauch, den der Künstler von der Figur machte, bedingt. Da auch die Wendung
des Kopfes bei beiden Kindern übereinstimmt, so scheint sich eine ziemlich genaue
Vorstellung von dem Aussehen des antiken Vorbildes zu ergeben: wenn wir bei
der Figur des Mabuse, welche offenbar die bessere und genauere Nachbildung ist,
(1) Für alles was Antikensammlungen und Antikenliteratur der Renaissance angeht, muß ich, um
sehr weitläufige Darlegungen zu vermeiden, auf die Ausführungen in meinem demnächst erscheinenden
„Katalog der Antikensammlungen Roms in dar Renaissance" verweise.

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