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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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Tatsache aufmerksam macht, daß die Art, wie Veränderungen an den Richelschen
Holzschnitten vorgenommen worden sind, sich bei den schlechten Drachschen
Holzschnitten ebenso findet, wie bei den guten. Unter den schlechten ist gar
mancher, der das Vorbild völlig verändert wiedergibt, während andererseits unter
den besten viele sind, die sich an das Vorbild enger anlehnen, als man vermuten
könnte. Die Annahme eines zweiten Zeichners, dem man die schwächeren Holz-
schnitte aufbürden könnte, ist eben in jeder Hinsicht unmöglich.
Die Zeichnungen, die der Hausbuchmeister wohl, wie damals allgemein üblich,
selbst mit der Feder auf den Holzstock gezeichnet hatte und die deshalb nicht
erst von fremder Hand dahin übertragen zu werden brauchten, wandern nun in
die Werkstatt des Formschneiders. 253 Stöcke waren zu schneiden. Bevor sie
nicht alle oder wenigstens zum größten Teil fertig waren, konnte der Setzer seine
Arbeit nicht beginnen. Dem Verleger lag gewiß daran, die Veröffentlichung nicht
zu lange hinauszuschieben. Die 253 Holzstöcke mußten also an mehrere Form-
schneider verteilt werden. Wir sahen, daß drei beteiligt gewesen sind. Wie es
scheint, wurde demjenigen, der das wenigste Geschick hatte, mit Absicht der
Schnitt der Zeichnungen anvertraut, die wenige und verhältnismäßig große Figuren
und wenig Detail hatten, also am leichtesten auszuführen waren. Am wahrschein-
lichsten ist (wenn man sich überhaupt noch weiter in diese Verhältnisse hinein-
denken will), daß Peter Drach die Holzstöcke nicht selbst an diese drei Form-
schneider verteilt hat, sondern daß ein einziger, ein Meister von Ruf, den ganzen
Auftrag bekommen hat, der dann den größten Teil, die schwierigsten Zeichnungen,
selbst geschnitten hat, die übrigen von zwei seiner Gesellen oder Lehrjungen hat
schneiden lassen.
Nun kann eine Folge von Umständen eintreten, von denen der erste auf den
zweiten, der zweite auf den dritten ungünstig einwirkt, so daß schließlich natur-
gemäß kein ganz erfreuliches Endergebnis gezeitigt wird, sowie es tatsächlich zu
verschiedenen Malen bei den Holzschnitten zum Drachschen Heilsspiegel der Fall
gewesen ist. Erstens: der Richelsche Holzschnitt ist sehr altertümlich oder roh
und der Gegenstand läßt wenige Veränderungen zu. Zweitens: Der Hausbuch-
meister arbeitet gerade einmal mit weniger Lust, ändert deshalb auch an seiner
Vorlage nicht so viel wie sonst, die Zeichnung, die entsteht, zeigt seine Eigenart
nur in geringem Maße. Drittens: Diese Zeichnung fällt einem Formschneider in
die Hände, der nichts kann. Was ist der Schluß? Der fertige Holzschnitt steht
künstlerisch in einem so großen Abstand von den freien Schöpfungen des phantasie-
vollen Meisters, besonders den Stichen, und zeigt seinen Geist in so geringem
Maße, daß jemand, der den Zusammenhang nicht kennt, die stärksten Bedenken
haben wird, eine solche Arbeit diesem Meister zuzuschreiben.
Ich hoffe aber, meine Darlegungen sind so ausführlich und überzeugend gewesen,
daß die Zweifler verstummen werden.
Wir gehen nun einen Schritt weiter und fragen, wann die Holzschnitte zum
Drachschen Heilsspiegel gezeichnet sind. Wann das Buch gedruckt worden ist,
läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Die Typenvergleichung, die in andern
Fällen zu guten Ergebnissen geführt hat, läßt hier im Stiche. F. W. E. Roth, der
beste Kenner der Speirer Drucke, setzt in seiner Geschichte und Bibliographie der
Buchdruckereien zu Speier im XV. und XVI. Jahrhundert (1. Hälfte, Speier 1894,
S. 79) den Heilsspiegel um 1490—1495 an. In einem Briefe, den er mir vor
10 Jahren schrieb, möchte er eine noch spätere Entstehung annehmen, lediglich
der Typen wegen. Beides ist unmöglich.

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