Eine Anzahl von Exemplaren des Richelschen Heilsspiegels hat am Ende (wie
es scheint mit einem Stempel gedruckt) die Angabe, daß der Druck im Jahre 1476
„uf Sant Gilgen Obent", d. h. am 31. August 1476 vollendet worden ist. Der erste
bezeichnete und datierte Druck Peter Drachs des Älteren stammt aus demjahre 1477.
Es ist ganz unwahrscheinlich, daß Drach schon bald nach dem Erscheinen des
Richelschen Werkes den Plan zu einem Nachdruck gefaßt hat. Zunächst wissen
wir also nur eins: der Drachsche Heilsspiegel ist nach 1476 gedruckt. Ich füge
sofort ein weiteres Datum hinzu: er muß spätestens Mitte 1488 veröffentlicht
worden sein. Denn 1489 am Freitag nach Lichtmeß, d. h. am 6. Februar 1489,
vollendete Peter Berger in Augsburg den Druck einer neuen Ausgabe des Spiegels
der menschlichen Behältnis (Hain 14937). Als Vorlage diente ihm, wie sich mit
unbedingter Sicherheit nachweisen läßt, ein Exemplar der Drachschen Ausgabe.
Die Einrichtung des Satzes ist der Drachs möglichst angenähert, die Holzschnitte
stehen auf derselben Seite und fast immer an derselben Stelle im Text wie bei
Drach. Der Text ist moderner gestaltet. Die Holzschnitte sind kleiner als die
Drachschen, entsprechen ihnen aber genau, es sind sehr gewöhnliche Kopien (nicht
etwa Umarbeitungen) von diesen und zwar alle bis auf acht im Gegensinn. Die
277 Holzschnitte der Vorlage sind um einen vermehrt, die Heimsuchung, die bei
Drach fehlte. Die Holzschnitte Nr. 86 (der Verrat des Judas) und 90 (die Häscher
fallen vor Christus zu Boden) stehen ebenso an falscher Stelle wie in dem Drach-
schen Druck.
Die nächstfolgende Ausgabe des Spiegels der menschlichen Behältnis ist die von
Michel Greiff in Reutlingen, Hain 14938, vollendet „vff dz new jar In de .m.
cccclxxxxij.", also am 1. Januar 1492. Die Holzschnitte sind wieder Kopien der
Drachschen, aber nicht für diese Ausgabe neu gemacht, sondern von den Berger-
schen Holzstöcken wieder abgedruckt. Greiff scheint nach Bergers Tode das ganze
Inventar von dessen Druckerei übernommen zu haben.
Am 9. November („freytag vor sant Marteinstage") 1492 vollendete Hans
Schönsperger in Augsburg den Druck seines Spiegels der menschlichen Behältnis
(Hain 14939). Die Holzschnitte dieser Ausgabe sind der Mehrzahl nach Kopien
der Drachschen, mit wenigen Ausnahmen gleichseitig, aber kleiner, sehr verein-
facht und sehr handwerksmäßig gemacht. Neben diesen kommen noch eine Anzahl
anderer vor, die ihr Vorbild nicht in den Drachschen haben.
Aus diesen Tatsachen geht also hervor, daß Drachs Heilsspiegel zwischen
Sommer 1477 und Sommer 1488 veröffentlicht worden sein muß. Dies sind die
beiden äußersten Termine, die möglich sind.
Man kann auf die Herstellung einer neuen illustrierten Ausgabe eines Buches,
wie es der Spiegel der menschlichen Behältnis ist, von den ersten Vorarbeiten an
bis zur Vollendung des Druckes im besten Falle ein Jahr rechnen. Man bedenke,
daß die Menschen im 15. Jahrhundert im allgemeinen viel weniger und viel lang-
samer arbeiteten als heutzutage. Wie viele Arbeitstage fielen schon fort durch die
Unmenge von Feiertagen! Es ist gewiß nicht zu viel, eher zu wenig, wenn man
auf die Arbeit des Künstlers, das Entwerfen von 253 Zeichnungen und das eigen-
händige Übertragen auf den Holzstock, ein Vierteljahr rechnet. Das Schneiden der
Holzstöcke bei Verteilung an mehrere Formschneider erfordert wohl ebenfalls ein
Vierteljahr. Auf die Arbeit des Korrektors, Setzers und Druckers käme insgesamt
ein halbes Jahr. Ein Verleger, der ein Buch wie den Heilsspiegel in einem Nach-
druck veröffentlichen wollte, konnte das, falls er ein kluger Mann war, mit sicherer
Aussicht auf Gewinn nur dann tun, wenn er die Konkurrenz des älteren Buches
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 3.
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III
es scheint mit einem Stempel gedruckt) die Angabe, daß der Druck im Jahre 1476
„uf Sant Gilgen Obent", d. h. am 31. August 1476 vollendet worden ist. Der erste
bezeichnete und datierte Druck Peter Drachs des Älteren stammt aus demjahre 1477.
Es ist ganz unwahrscheinlich, daß Drach schon bald nach dem Erscheinen des
Richelschen Werkes den Plan zu einem Nachdruck gefaßt hat. Zunächst wissen
wir also nur eins: der Drachsche Heilsspiegel ist nach 1476 gedruckt. Ich füge
sofort ein weiteres Datum hinzu: er muß spätestens Mitte 1488 veröffentlicht
worden sein. Denn 1489 am Freitag nach Lichtmeß, d. h. am 6. Februar 1489,
vollendete Peter Berger in Augsburg den Druck einer neuen Ausgabe des Spiegels
der menschlichen Behältnis (Hain 14937). Als Vorlage diente ihm, wie sich mit
unbedingter Sicherheit nachweisen läßt, ein Exemplar der Drachschen Ausgabe.
Die Einrichtung des Satzes ist der Drachs möglichst angenähert, die Holzschnitte
stehen auf derselben Seite und fast immer an derselben Stelle im Text wie bei
Drach. Der Text ist moderner gestaltet. Die Holzschnitte sind kleiner als die
Drachschen, entsprechen ihnen aber genau, es sind sehr gewöhnliche Kopien (nicht
etwa Umarbeitungen) von diesen und zwar alle bis auf acht im Gegensinn. Die
277 Holzschnitte der Vorlage sind um einen vermehrt, die Heimsuchung, die bei
Drach fehlte. Die Holzschnitte Nr. 86 (der Verrat des Judas) und 90 (die Häscher
fallen vor Christus zu Boden) stehen ebenso an falscher Stelle wie in dem Drach-
schen Druck.
Die nächstfolgende Ausgabe des Spiegels der menschlichen Behältnis ist die von
Michel Greiff in Reutlingen, Hain 14938, vollendet „vff dz new jar In de .m.
cccclxxxxij.", also am 1. Januar 1492. Die Holzschnitte sind wieder Kopien der
Drachschen, aber nicht für diese Ausgabe neu gemacht, sondern von den Berger-
schen Holzstöcken wieder abgedruckt. Greiff scheint nach Bergers Tode das ganze
Inventar von dessen Druckerei übernommen zu haben.
Am 9. November („freytag vor sant Marteinstage") 1492 vollendete Hans
Schönsperger in Augsburg den Druck seines Spiegels der menschlichen Behältnis
(Hain 14939). Die Holzschnitte dieser Ausgabe sind der Mehrzahl nach Kopien
der Drachschen, mit wenigen Ausnahmen gleichseitig, aber kleiner, sehr verein-
facht und sehr handwerksmäßig gemacht. Neben diesen kommen noch eine Anzahl
anderer vor, die ihr Vorbild nicht in den Drachschen haben.
Aus diesen Tatsachen geht also hervor, daß Drachs Heilsspiegel zwischen
Sommer 1477 und Sommer 1488 veröffentlicht worden sein muß. Dies sind die
beiden äußersten Termine, die möglich sind.
Man kann auf die Herstellung einer neuen illustrierten Ausgabe eines Buches,
wie es der Spiegel der menschlichen Behältnis ist, von den ersten Vorarbeiten an
bis zur Vollendung des Druckes im besten Falle ein Jahr rechnen. Man bedenke,
daß die Menschen im 15. Jahrhundert im allgemeinen viel weniger und viel lang-
samer arbeiteten als heutzutage. Wie viele Arbeitstage fielen schon fort durch die
Unmenge von Feiertagen! Es ist gewiß nicht zu viel, eher zu wenig, wenn man
auf die Arbeit des Künstlers, das Entwerfen von 253 Zeichnungen und das eigen-
händige Übertragen auf den Holzstock, ein Vierteljahr rechnet. Das Schneiden der
Holzstöcke bei Verteilung an mehrere Formschneider erfordert wohl ebenfalls ein
Vierteljahr. Auf die Arbeit des Korrektors, Setzers und Druckers käme insgesamt
ein halbes Jahr. Ein Verleger, der ein Buch wie den Heilsspiegel in einem Nach-
druck veröffentlichen wollte, konnte das, falls er ein kluger Mann war, mit sicherer
Aussicht auf Gewinn nur dann tun, wenn er die Konkurrenz des älteren Buches
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 3.
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