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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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Heute liegt das Resultat dieses ebenso pietät-
vollen wie bewunderungswürdigen Fleißes vor uns.
In vier stattlichen Foliobänden, die in der Opulenz
und Eleganz ihrer Ausstattung keine Spur von
den ökonomischen Nöten verraten, zu denen die
meisten Publikationen dieser Art verurteilt zu
sein pflegen, werden die plastischen Reichtümer
aus acht Jahrhunderten französischer Geschichte
Stück für Stück, Kleinstes wie Größtes, mit
Ort und Stunde ihrer Entstehung verzeichnet.
Einem kurzen Lebensabriß der Künstler folgt eine
chronologisch geordnete, detaillierte Liste
ihrer sämtlichen Werke, mit genauer Angabe
aller Stadien von der Entstehung bis zur Vollen-
dung, der ehemaligen und heutigen Aufstellung,
des Preises für den sie angefertigt wurden, endlich,
der Kupferstiche, die nach ihnen existieren, wie
der Museen, die Abgüsse davon besitzen. Wer
sich daran erinnert, in welch fragmentarischer Ge-
stalt gerade die Plastik der Franzosen aus den
Stürmen der Revolution auf uns gekommen, wie-
viel Unersetzliches verloren oder in alle Welt
zerstreut worden, wieviel namenloses Gut noch
heute die öffentlichen und privaten Sammlungen
anfüllt, der wird die Unsumme von Arbeit ermessen
können, die in diesen Notizen, vor allem in den
chronologischen Tabellen der Werke aufgespeichert
ist. Den Beschluß jedes Artikels bildet ein Ver-
zeichnis der gesamten in- und ausländischen Lite-
ratur über den Künstler und seine Werke, wobei
der Verfasser dem so oft als „unerreichbar" be-
zeichneten Ideal der Vollständigkeit nicht nur da-
durch nahe gekommen ist, daß er die Belegstellen
der Inventare und Archivpublikationen in absoluter
Lückenlosigkeit beibringt, sondern daß er sogar
aus sämtlichen, sehr oft registerlosen Compendien
und Monographien die Seitencitate für jedes ein-
zelne Kunstwerk zusammenstellt.
Wie gern verzichtet man bei dieser Fülle realer
Werte auf die ja stets, auch beim besten Willen,
subjektiv bleibenden ästhetischen und kritischen
Raisonnements, wie sie die ältesten und jüngsten
Lexikographen unserer Wissenschaft zu geben nie
sich enthalten können, ohne zu bedenken, daß alle
solche Wertbestimmungen und Urteile in ihrer
historischen Bedingtheit von Generation zu Gene-
ration der Revision unterworfen sind und den
monumentalen Charakter beeinträchtigen, den jede
Encyklopädie als solche doch anstrebt. Es ist
nicht der kleinste Ruhmestitel des Lamischen
Werkes, daß hier ein „Nichtfachmann" an Selbst-
verleugnung all seine gelehrten Vorgänger und
Konkurrenten weit hinter sich läßt. Nirgends ist
der Versuchung nachgegeben worden, durch noch

so kurze panegyrische oder kritische Epitheta den
Lesern die Ansicht des Verfassers zu präsentieren.
Einzig der enger oder weiter gespannte Rahmen
des äußeren Umfangs der einzelnen Artikel ist der
Maßstab, nach dem die Kleinen von den Großen
geschieden werden. Statt des Verfassers kommen
die Künstler selbst in kurzen eigenen Briefeitaten
oder anderen dokumentarischen Beigaben von unan-
fechtbarem historischen Wert zu Worte.
So kann denn gesagt werden: erst jetzt, wo
diese fundamentale Vorarbeit geleistet worden ist,
wird eine wissenschaftlich einwandfreie mono-
graphische Behandlung der Häupter der franzö-
sischen Bildhauerschule möglich sein. Vor allem:
es liegt jetzt kein Grund mehr vor, dem größten
plastischen Genie des alten Frankreich, Houdon,
das biographische Ehrendenkmal noch länger vor-
zuenthalten, nachdem man sich schon seit einem
Menschenalter mit dem ganz primitiven Lebens-
abriß von Dierks und einzelnen gelegentlichen
Zeitschriften - Artikeln hat behelfen müssen. Die
Schranken, die bei der Aufstellung des in alle Welt
zerstreuten und jeder kritischen Sichtung entbeh-
renden Oeuvres des Meisters der Forschung bis-
her unübersteiglich erschienen, sind dank der Pionier-
arbeit des Lami'schen Dictionnaires gefallen. Die
chronologische Tabelle sämtlicher heute noch auf-
findbaren Werke Houdons liefert dem künftigen
Verfasser dieser schönsten und wichtigsten mono-
graphischen Arbeit, die die französische Plastik
kennt, die Fundamente mühelos in die Hände.
Möchte der Bau selbst nicht allzu lange auf sich
warten lassen. Edmund Hildebrandt.

EDMOND UND JULES DE GONCOURT:
Stecher und Maler des XVIII. Jahr-
hunderts. Herausgeg. von Paul Prina.
Leipzig 1910 bei Julius Zeitler.
Von der vor zwei Jahren begonnenen deutschen
Ausgabe des berühmten Werkes liegt jetzt der
zweite Band vor, der die Publikation mit den Bio-
graphien der Gravelot, Cochin, Eisen, Moreau,
Debucourt, Fragonard und Prudhon abschließt.
Auch hier sind leider, wie schon im ersten
Bande, die wertvollen Oeuvre-Kataloge des Ori-
ginals fortgelassen worden. Da der geringe Um-
fang dieser wissenschaftlich unentbehrlichen Partien
keine übermäßigen Anforderungen an die äußere
Ökonomie der deutschen Bearbeitung gestellt hätte,
so kann nur der Wunsch, einem größeren Publikum
eine kunstliterarische Delikatesse ohne allen wissen-
schaftlichen Ballast vorzusetzen, hierfür ausschlag-

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