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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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NICOLAS FLORENTINO IN SALAMANCA
Mit einer Abbildung auf einer Tafel Von AUGUST SCHMARSOW

In der alten Kathedrale von Salamanca gibt es Gelegenheit einen italienischen
Meister kennen zu lernen, der die Malerei seiner Heimat nach Spanien gebracht
und ohne Zweifel nicht wenig dazu beigetragen hat, diese Kunstweise dort einzu-
bürgern. Genaue Auskunft über den Charakter seiner Leistungen muß also für die
italienische wie für die spanische Kunstgeschichte willkommen sein. „Die Haupt-
apsis, heißt es bei der Beschreibung des Innern der Catedral Vieja in unserm
Baedeker, enthält eine große Freske der Jüngsten Gerichts und darunter in gotischen
Rahmen 55 Bilder auf Holz aus der Geschichte Christi von Nicolas Florentino, aus
der Schule Giottos, 1445"' Diese beiden letzten Angaben erregen, so zusammen-
gestellt, heute schon den innern Widerspruch des Kunsthistorikers oder erwecken
doch berechtigten Zweifel. Das Datum 1445 ist gesichert durch den Kontrakt im
Archivio capitular; dort bezeichnet sich auch der Maler als Nicolas Florentino. Aber
so nahe der Mitte des Quattrocento noch ein Angehöriger der Giottoschule, das
wäre ein grausamer Anachronismus. Ein Jahrhundert früher würden wir es hin-
nehmen, auch ohne uns gern dabei zu beruhigen; aber 1445 kann doch die ver-
altete summarische Bezeichnung, die sich noch immer aus Jacob Burckhardts Tagen
im Cicerone forterhält, wohl nur noch gelten, wenn sie wirklich einen rückständigen
Nachzügler einer längst vergangenen Tradition brandmarken soll. Das wäre kein
Sendbote florentinischer Kunst, der die spanische Malerei fördern konnte, sondern
höchstens ein Pflegling konservativster Tendenzen. Oder hätten wir auch hier eine
bewußte Rückkehr zu dem wertvollsten Erbe monumentalen Stiles vor uns, wie
wir sie heute bei Masaccio in den Wandgemälden der Brancaccikapelle anerkennen?
Daran denkt gewiß niemand, der die Angabe des Reisehandbuchs liest. — Ver-
suchen wir also uns Rechenschaft zu geben, was die Malereien selber bezeugen
und was von ihrem Urheber zu halten ist. Das ist nicht ganz einfach und, bei der
Anbringung in der fensterlosen Tribuna, nicht ohne Mühe erreichbar: aber es lohnt
solange zu spähen bis es gelingt.
Das Halbkuppelgewölbe ist der Wiederkunft des Herrn eingeräumt. Hier er-
scheint die nackte, nur mit weißem Schurz um die Hüften, wie beim Kreuzestod,
versehene Gestalt des Erlösers in lebhafter Bewegung. Während die eine Hand
an die Seitenwunde greift streckt sich die andere zu weit ausholender Gebärde
gegen die Sünder, denen auch das Antlitz zugekehrt ist. Dieser auffahrenden Ver-
werfung folgt die Haltung des ganzen schlankgebauten Körpers, besonders das vor-
gestreckte rechte Bein, gegenüber dem leicht angezogenen linken, wo man allein
einen Rest des Sitzens suchen könnte. Acht schwebende Engel in langen Gewändern
verschiedener Farbe umgeben die überraschende Hauptfigur, in der wir sofort die
Richtung auf mimische Ausdrucksenergie erkennen, der es auf feierliche Majestät
nicht ebensoviel ankommt. Sechs dieser Trabanten erheben die Wahrzeichen der
Passion; die untern vier tragen auch ausflatternde Schriftbänder mit Sprüchen dar-
auf, nur die untersten zwei stoßen in die Posaune, um die Toten zu erwecken.
Gerade unter ihnen geben die Gräber ihre Gebeine wieder her. Die rechte Seite
vom Beschauer zeigt den Sturz der Verdammten in den Höllenschlund, die linke
die Aufnahme der Erwählten in die Seligkeit. Aber hier zur Rechten des Welten-
richters sehen wir, ganz links über den Seligen, Johannes den Täufer knien und
gegenüber, wo der Zorn des Herrn herniederfährt, die Mutter Maria in ebenso an-

Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 4. 11

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