Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

Citation link:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/monatshefte_kunstwissenschaft1911/0190

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
VELAZQUEZ Von AUGUST L. MAYER
Mit drei Abbildungen auf zwei Tafeln ••••.••••............
Über Velazquez heute noch etwas schreiben, etwas Neues sagen zu wollen,
erscheint ebenso gewagt, als wollte man bei der Gedenkfeier eines großen
Mannes eine bedeutungsvolle Rede halten, nachdem bereits weit ältere und an
Kenntnissen reichere Kollegen den zu Feiernden in ausgezeichneten, treffenden
Worten in seinem Wirken und Wesen gerühmt und charakterisiert haben.
Und doch — wie die Dinge nun heute einmal liegen, ist es trotz der Werke
Justis und Beruetes nicht nur erlaubt, sondern geradezu notwendig, für Velazquez
eine Lanze zu brechen, nachdem ein moderner Kunstkritiker, der im stolzen Be-
wußtsein seiner „Unzünftigkeit“ die Kunsthistoriker bei jeder Gelegenheit mit Ver-
achtung straft, Julius Meier-Gräfe, in seiner so berühmt gewordenen „Spanischen
Reise" in maßloser Begeisterung für el Greco den armen Velazquez zu zerschmettern
versucht hat. Man könnte dies vielleicht ganz ergötzlich finden, hätte nicht der
„Entdecker Grecos" einer großen Reihe sonst ruhig denkender Menschen den Kopf
verdreht und vor allem Velazquez Ideen und Probleme angedichtet, denen er nie
nachgegangen ist.
Es muß mit aller Entschiedenheit betont werden, daß Greco und Velazquez völlig
verschiedene Bahnen gewandelt sind.
Grecos Kunst zielt auf eine Betonung aller malerischen Werte in der Natur,
erstrebt eine Lösung des Problems „dekorative Malerei"' Zu diesem Endziel ist
aber Greco nie ganz gelangt, denn er hat Zeit seines Lebens auf naturalistische
Einzelheiten nicht verzichten können. So ist sein Stil schwankend, unausgeglichen,
ja nicht selten maniriert. Selbst Cossio, Grecos Biograph, hat den Meister „den
letzten Epigonen der Renaissance" genannt.
Greco kümmert sich wenig um die Wirklichkeit, er ist, wenn man es so nennen
will, Mystiker, Visionär.
Velazquez sucht das Wahre, das irdisch Faßbare, ist Realist. Für ihn gibt es
keine chaotischen Unendlichkeiten, ihn beschäftigt vor allem die Luftperspektive,
die räumliche Vertiefung und der fest auf der Erde stehende, in ihr wurzelnde
Mensch. (Schon Justi meint bei der Behandlung der Frage, inwieweit Velazquez
Herreras Schüler war: Ein Beobachtender begegnete einem Visionär.)
Greco ist Kolorist, Velazquez Valeurmaler. Man könnte meinen, er habe sich
Lionardos Worte zu Herzen genommen, der vor allem das Streben nach Greif-
barkeit der Gestalten empfiehlt und vor Überschätzung der Farbe warnt, die nur
dem Ehre bringe, der sie verfertigt, den Maler aber verführe, gleich Schönrednern
Worte zu gebrauchen, die nichts sagen (Trattato 123. 236).
Greco schwelgt im Licht, gießt es in Strömen über seine Schöpfungen aus.
Velazquez sucht es zu fangen, seinen Zauber zu bannen. Bei allem Funkeln und
Gleißen der Farbe und allem Sprühen und Glitzern des Lichtes wirken die meisten
Bilder Grecos flackernd, unruhig; die des Velazquez aber machen stets einen aus-
geglichenen, gestillten Eindruck.
Grecos Kunst ist dramatisch bewegt, wirkt aufreizend, ja selbst zuweilen fast
schreiend. Des Velazquez Art ist keusch, zurückhaltend; viele Schönheiten seiner
Werke enthüllen sich erst ganz allmählich.
Bei Grecos Werken hat man oft das Gefühl, dies oder jenes könne auch anders
sein, dies oder jenes fehlen; bei Velazquez aber ist alles notwendig, seine Gemälde
besitzen „Harmonie" im höchsten und letzten Sinn des Wortes.

176
 
Annotationen