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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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ob am festen Willen oder an Klarheit der Ein-
sicht gefehlt, die Aufgabe systematisch durch-
zuführen. Da dieses Gesamturteil hart klingen
mag, wird es notwendig sein, es eingehender zu
begründen, als der Rahmen einer Buchanzeige es
eigentlich zuläßt.
Vasari sollte man, wenn es sich um Künstler
außerhalb von Florenz oder Arezzo handelt, immer
nur mit großer Vorsicht behandeln. Er war da
meist sehr ungenügend informiert, namentlich für
das rein Biographische. Indem Verf. dies nicht
genügend beachtet, verfällt er in die ersten Irr-
tümer. Schon das Geburtsdatum — um 1474,
weil in diesem Jahre Ariost geboren wurde — ist
fast sicher falsch. Man sollte ehrlich einräumen:
wir kennen es nicht. Der Umstand, daß der Vater
noch 1536, die Mutter noch 1539 am Leben ist,
macht es wahrscheinlich, daß der Maler später,
vielleicht erst in der Mitte der achtziger Jahre,
geboren wurde. Da er 1512 — es ist die erste
gesicherte Nachricht, die wir überhaupt von ihm
haben — mit einem ansehnlichen Auftrag am
Mantuaner Hof erscheint, war er damals wohl
schon ein geachteter Künstler, gewiß kein Anfänger
mehr. Seinen Lehrer kennen wir nicht und könnten
ihn nur stilkritisch eruieren, was durch den
Mangel an einem sicheren Jugendwerk fast un-
möglich gemacht wird. Das Verhältnis der Brüder
zu Garofalo behauptet Vasari; es ist möglich, aber
unbeweisbar, und Vasaris Biographie dieses Ferra-
resen ein solches Gewebe falscher Nachrichten
(vgl. die deutsche Vasari-Ausgabe Bd. V, S. 554 ff.,
bes. Anm. 12), daß man sie gänzlich bei Seite
lassen muß, nicht aber, wie es Verf. tut (S. 25)
darauf gar Konjekturen aufbauen darf.
Bei dieser Sachlage ist uns die positive Angabe
eines Zeitgenossen, der diesen Dingen viel näher
stand als Vasari, von doppeltem Wert. In seinem
erstmalig 1557 publizierten Dialogo della pittura
sagt Lodovico Dolce von den Brüdern: de' quali
uno stette qui a Venezia alcun tempo per im-
parare a depingere con Tiziano: e l'altro in Roma
con Raffaello (in der deutschen Ausgabe von Cerri,
Quellenschriften II, S. 17). Diese Angabe ist um
so wichtiger, als der Stil gewisser Werke, die man
alle Ursache hat, als Jugendwerke Dosso Dossis
anzusehen, wie die heil. Familie der Kapitolinischen
Galerie, ebenso starken tizianischen Charakter zeigt,
als die Landschaftsgründe einer Reihe von Arbeiten,
die sich eng an ähnliche Motive bei dem giorgio-
nesken Tizian anschließen: während andererseits
nicht nur ein Aufenthalt Battistas in Rom, sondern
auch sein persönlicher Verkehr mit Raphael für
den Anfang des Jahres 1520 urkundlich bezeugt

ist (Campori, Notizie inedite di Raffaello, S. 137).
Eine gewisse Intimität des berühmteren der Brüder
mit Tizian scheint auch obgewaltet zu haben,
während Tizian wegen der Bacchanalien für Alfonso
d'Este in Ferrara sich aufhielt; man weiß von
einem gemeinsamen Ausflug nach Mantua im
November 1519, um die dortigen Kunstwerke zu
besichtigen.
Bei dem hervorgehobenen Mangel an gesicherten
Nachweisen hätte diese Möglichkeit, in verworrene
Dinge Ordnung zu bringen, ganz anders ausge-
nützt werden müssen.
Methodisch konnte man dann weitergehen und
fragen: welches sind die dokumentarisch beglau-
bigten Arbeiten Giovannis und Battistas. Liegen
für jenen die Dinge darum schwierig, weil wir
erst vom Jahr 1522 ein gesichertes Werk besitzen
(ich komme darauf zurück), so ist der Fall für
Battista nahezu verzweifelt: das einzige Werk, das
man ihm auf Grund der Aussage eines Zeit-
genossen zuschreiben muß, scheint nach unanfecht-
baren Dokumenten doch wieder dem Bruder zu
gehören.
Der Fall ist so kompliziert, daß ich mich ge-
nötigt sehe, ihn kurz darzulegen. Der modene-
sische Chronist Lancellotto erzählt unter dem
29. November 1536 von der Aufstellung einer „An-
betung des Kindes" im Dom von Modena (nach
seiner klaren Beschreibung ist es das Bild in der
Galleria Estense) „fatta de mane de M. ro ....
(Lücke) fratello de Mro. Dosso ex. mo dipintore".
Man hat stets geglaubt, jene Lücke durch den
Namen des Battista ergänzen zu sollen, um so
mehr, als das Bild stilistisch von den Werken des
Dosso Dossi verschieden ist, und so meinte man,
wenigstens eine gesicherte Arbeit zu besitzen.
Hiergegen nun macht Verf. in einer sehr ausführ-
lichen Darlegung (S. 44 ff.) Front. Stilistisch findet
er es den beglaubigten Hauptwerken Giovanni
Dossos so eng verwandt, daß man dann alle diese
auch dem Battista zuschreiben müßte (worauf später
zurückzukommen ist); aber auch historische Ein-
wände lassen sich geltend machen. In den von
Campori publizierten Zahlungen, die sich auf die
Cappella Estense im Modeneser Dom beziehen,
für die jenes Bild ursprünglich bestimmt war,
kommt Battistas Name überhaupt nicht vor, sondern
der des Dosso Dossi allein. — Um nun jene Stelle
des Chronisten mit seiner Überzeugung, nach der
die „Anbetung des Kindes" von Dosso Dossi ist,
in Einklang zu bringen, will Verf. die Lücke mit
Giovanni ausfüllen; mit Mro. Dosso sei dann
Battista gemeint.
Hier setzt er sich aber mit den Tatsachen in

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