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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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RAFFAELS PERUGINER JAHRE
... Von WALTER BOMBE
Die unmittelbare Veranlassung zur Niederschrift der nachstehenden Bemerkungen
über Raffaels künstlerischen Werdegang war das Erscheinen von Georg Gronaus
Neubearbeitung der ersten drei von Rosenberg verfaßten Ausgaben des von der
Deutschen Verlagsanstalt herausgegebenen Raffael1), in der Gronau auf Grund ein-
dringender Forschungen eine vielfach neue chronologische Anordnung der Werke
des Urbinaten gibt. Wer sich jemals mit der Frage der Entwicklung des jungen
Raffael beschäftigt hat, weiß, daß dieses Problem zu den schwierigsten der gesamten
Kunstwissenschaft gehört und daß es vielfach schwer, ja fast unmöglich ist, zu einer
völlig befriedigenden Lösung zu gelangen. Um so dankbarer dürfen wir dem aus-
gezeichneten Kenner Raffaels sein, der uns hier die erste ganz einwandfreie Lösung
des vielumstrittenen Problems vorlegt. Seither hat das Problem der Lehrjahre Raf-
faels und seiner ersten künstlerischen Tätigkeit Adolfo Venturi und Lisa von Schlegel
zu Aufsätzen angeregt, die während der Drucklegung dieser Zeilen erschienen2) und
auf die im folgenden, soweit das in der Korrektur noch möglich war, näher einge-
gangen werden soll.
Die ersten festen Daten über Raffaels selbständige künstlerische Tätigkeit liefern
uns einige im Jahre 1908 durch Magherini-Graziani publizierte Urkunden, aus denen
wir entnehmen, daß der junge Raffael gemeinsam mit dem Maler Evangelista di
Piandimeleto sich am 10. November 1500 verpflichtete, für die Kirche S. Agostino
in Cittä di Castello eine Krönung des heiligen Nikolaus von Tolentino zu malen,
für welches Bild beide Künstler am 13. September 1501 die letzte Zahlung empfingen3).
Wenn Raffael schon gegen Ende des Jahres 1500 als selbständiger Künstler Ver-
träge abschloß, so muß er damals bereits die eigentlichen Lehrjahre hinter sich
gehabt haben.
Der Hinweis Vasaris, daß der junge Raffael während Peruginos Abwesenheit sich
mit einigen Freunden nach Cittä di Castello begab, wo er als erstes Werk in
S. Agostino ein Tafelbild in der Manier Peruginos malte4), gewinnt im Zusam-
menhang mit den oben erwähnten Urkunden Magherini- Grazianis besonderen
Wert. Ungefähr gleichzeitig mit der Krönung des heiligen Nikolaus, die in der
Zeit der französischen Invasion aus Rom verschwand, wohin das Bild unter Papst
Pius VI. gekommen war, mag dann jenes Gonfalonebild der Brüderschaft S. Trinitä
entstanden sein, das Gronau, und mit ihm die meisten der neueren Raffaelforscher,
gestützt auf Stilkritik und alte Tradition, für Raffael energisch in Anspruch nehmen.
Wir wissen, daß im Jahre 1499 die Pest das große Sterben über viele Städte
Mittelitaliens und über Cittä di Castello brachte. Wahrscheinlich kurz nach dem
Aufhören der schrecklichen Seuche ließ die Confraternitä della S.S. Trinitä diese
Prozessionsfahne malen, mit den beiden Pestheiligen Rochus und Sebastian und der
Dreieinigkeit auf der einen Seite und der Erschaffung der Eva auf der anderen.

(1) Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben. Erster Band. Raffael, des Meisters Gemälde in 275 Ab-
bildungen. Mit einer biographischen Einleitung von Adolf Rosenberg. Vierte Auflage, heraus-
gegeben von Georg Gronau. Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlags-Anstalt, 1909.

(2) Vortrag vom 14. Februar 1911, abgedruckt in L'Arte 1911, fase. 2. Lisa de Schlegel: II primo maestro
di Raffaello. Notizie e Documenti inediti. Rassegna d'Arte 1911, Aprile, p. 72—75.

(3) Bollettino della R. Deputazione di Storia Patria per l'Umbria, Bd. XIV, 1908, fase. 1, Nr. 37.

(4) Ed. Sansoni, Bd IV, p. 318.

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