streckt erscheint, der Ansatz zu jener Erweiterung
gegeben ist, die, in geübten Händen, bis zur Er-
schließung des Venezianischen Barocks führen kann.
Als Ludwig, der Quattrocentoliebhaber, das Jahr
1550 zum Endpunkt seiner Forschung wählte, ge-
horchte er wohl mehr einer persönlichen Neigung
oder notwendigen Beschränkung, als einem Kriterium
vom Werte früher oder später Cinquecentokunst.
Lebt Veronese doch bis 1588, Tintoretto bis 1594!
Als Überfluß gesammelt, mögen die späteren Ur-
kunden sich nebenbei in seinen Mappen einge-
funden haben. Es gereicht Hadeln zum Verdienst,
diesen vernachlässigten Geschichtsfragmenten ge-
genüber, in seinen Interpretationen einen Ton zu
treffen, der, auf Grund umsichtigster Kenntnis des
heute noch schwer übersehbaren spätcinquecentisti-
schen Bilder- wie Quellennachweises gewonnen,
der historischen Wahrheit gerecht zu werden sucht.
Besonders wertvoll ist ein neuer Tintorettodatum;
ferner was sicheres über die Autoren der Tondi
in der Libreria mitgeteilt wird: Zelotti, Veronese,
Schiavone und Salviati.
Nur dadurch, daß auch die kleineren Leute mög-
lichst als Persönlichkeit und nicht als Lücken-
büßer gekennzeichnet werden, kann Ordnung selbst
im Werke der Größeren geschaffen werden; und
wo das Auge für Unterscheidung nicht ausreicht,
sind Urkunden am Platz. So hat es Tizian nötig
von seinen Schülern befreit zu werden, Veronese
von seinen Mitarbeitern, Tintoretto von diesen und
jenen. Ganz abgesehen davon, daß uns die Ab-
grenzung des Werkes jener Minderbekannten viel-
leicht noch Überraschungen bereitet. Geiger.
AUGUST RICHARD MAIER, Niclaus
Gerhaert von Leiden. Studien zur
Deutschen Kunstgeschichte. Heft 131.
Straßburg, Heitz, 1910.
Das Problem Niclaus von Leiden gehört zu den
interessantesten der deutschen Kunstgeschichte.
An seiner Lösung wird von Robert Bruck und
Franz Staub schon seit Jahren in der Stille gear-
beitet; und eben dieser Umstand hat ernsthafte
Forscher, wie Hans Klaiber, der sich mit der
Materie im übrigen wohl am besten vertraut ge-
macht und auch zu dieser Rezension Wesentliches
beigesteuert hat, davon abgehalten, die notwen-
digen, sehr zeitraubenden Archivforschungen in
Leiden, Straßburg, Konstanz und Wien, noch ein-
mal in Angriff zu nehmen. Die Arbeit Maiers
findet einen anderen Ausweg. Sie verzichtet fast
völlig auf selbständige Urkundenforschung und
begnügt sich in der Hauptsache damit, das bereits
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft g
bekannte Material systematisch zu ordnen. Nur
zwei Werke werden dem Künstler neu zugeschrieben,
beide sicherlich mit Unrecht: eine Madonna bei
Boehler in München, über deren Herkunft die
Akten noch nicht geschlossen sind, ferner die neuer-
dings viel erörterte Bildhauerbüste aus S. Peter in
Konstanz, jetzt im Rosgartenmuseum, die für Niclaus
zu unsicher ist und vielleicht als Jugendschöpfung
des Heinrich Yselin angesehen werden darf.
Diese Arbeitsmethode erscheint nun gerade im
vorliegenden Falle recht bedenklich, weil fast alle
urkundlich überlieferten Tatsachen bisher noch
zweifelhaft sind. Über die Jugend des Künstlers
erfahren wir garnichts; die Hypothesen des Ver-
fassers über die Herkunft des Meisters aus der
burgundischen Schule sind vage. 1464 erscheint
Niclaus in Straßburg, 1467 folgt er einem Rufe
nach Wien. In den drei Jahren sind folgende
Werke entstanden: Straßburg, Kanzleiportal, 1464
(erhalten nur die Abgüsse zweier Büsten); Straß-
burg, S. Marxstift, 4 Holzbüsten (nicht urkundlich
bezeugt, doch stilistisch mit den Kanzleiportalbüsten
nahe verwandt); Madonnenrelief von 1464 in der
Johanneskapelle des Straßburger Münsters (dieses
Werk, sowie die Zinnensäule im Museum sind be-
reits in einem Aufsatze von Robert Bruck über
Elsässische Holzplastik im „Kunstgewerbe in E1-
saß-Lothringen" II, 179 erwähnt, den der Verfasser
völlig mit Stillschweigen übergeht); Hochaltar des
Konstanzer Münsters, 1464, zerstört; Kruzifix in
Baden-Baden, 1467. Schon die Zahl der genann-
ten Schöpfungen ist für eine Tätigkeit von drei
Jahren sehr groß; und nun werden dem Meister
gar noch das gesamte Konstanzer Gestühl und
die stilistisch von ihm durchaus verschiedenen
Türen des Konstanzer Münsters zugewiesen. Daß
er an beiden Arbeiten beteiligt ist, steht außer
Frage; doch wäre genauer zu untersuchen ge-
wesen, wie weit sein persönlicher Anteil geht;
denn von dem Vertrag zur Lieferung des Ge-
stühles wird er bereits 1467 entbunden; es sollen
„die verdinge des gestüles halb abesin“, heißt es
in dem neuen Vertrag vom 17. April 1467; und
auch die Türen werden laut Inschrift erst 1470
fertiggestellt, als Niclaus längst in Österreich weilt.
— Dort folgen dann noch die Grabmäler der Kai-
serin Eleonore in Wiener Neustadt und des Kaisers
Friedrich III. in S. Stephan in Wien. Warum der
Tod des Künstlers gerade in das Jahr 1487 fallen
soll, ist nicht einzusehen. Bekannt ist lediglich
die Tatsache, daß 1487 Peter Gerhaert, Meister Nic-
laus des Bildehouwers seligen sun, in Straßburg
erwähnt wird. Wann dieser Meister Niclaus ge-
storben ist, hat Mair nicht ermittelt; selbst die
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gegeben ist, die, in geübten Händen, bis zur Er-
schließung des Venezianischen Barocks führen kann.
Als Ludwig, der Quattrocentoliebhaber, das Jahr
1550 zum Endpunkt seiner Forschung wählte, ge-
horchte er wohl mehr einer persönlichen Neigung
oder notwendigen Beschränkung, als einem Kriterium
vom Werte früher oder später Cinquecentokunst.
Lebt Veronese doch bis 1588, Tintoretto bis 1594!
Als Überfluß gesammelt, mögen die späteren Ur-
kunden sich nebenbei in seinen Mappen einge-
funden haben. Es gereicht Hadeln zum Verdienst,
diesen vernachlässigten Geschichtsfragmenten ge-
genüber, in seinen Interpretationen einen Ton zu
treffen, der, auf Grund umsichtigster Kenntnis des
heute noch schwer übersehbaren spätcinquecentisti-
schen Bilder- wie Quellennachweises gewonnen,
der historischen Wahrheit gerecht zu werden sucht.
Besonders wertvoll ist ein neuer Tintorettodatum;
ferner was sicheres über die Autoren der Tondi
in der Libreria mitgeteilt wird: Zelotti, Veronese,
Schiavone und Salviati.
Nur dadurch, daß auch die kleineren Leute mög-
lichst als Persönlichkeit und nicht als Lücken-
büßer gekennzeichnet werden, kann Ordnung selbst
im Werke der Größeren geschaffen werden; und
wo das Auge für Unterscheidung nicht ausreicht,
sind Urkunden am Platz. So hat es Tizian nötig
von seinen Schülern befreit zu werden, Veronese
von seinen Mitarbeitern, Tintoretto von diesen und
jenen. Ganz abgesehen davon, daß uns die Ab-
grenzung des Werkes jener Minderbekannten viel-
leicht noch Überraschungen bereitet. Geiger.
AUGUST RICHARD MAIER, Niclaus
Gerhaert von Leiden. Studien zur
Deutschen Kunstgeschichte. Heft 131.
Straßburg, Heitz, 1910.
Das Problem Niclaus von Leiden gehört zu den
interessantesten der deutschen Kunstgeschichte.
An seiner Lösung wird von Robert Bruck und
Franz Staub schon seit Jahren in der Stille gear-
beitet; und eben dieser Umstand hat ernsthafte
Forscher, wie Hans Klaiber, der sich mit der
Materie im übrigen wohl am besten vertraut ge-
macht und auch zu dieser Rezension Wesentliches
beigesteuert hat, davon abgehalten, die notwen-
digen, sehr zeitraubenden Archivforschungen in
Leiden, Straßburg, Konstanz und Wien, noch ein-
mal in Angriff zu nehmen. Die Arbeit Maiers
findet einen anderen Ausweg. Sie verzichtet fast
völlig auf selbständige Urkundenforschung und
begnügt sich in der Hauptsache damit, das bereits
Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft g
bekannte Material systematisch zu ordnen. Nur
zwei Werke werden dem Künstler neu zugeschrieben,
beide sicherlich mit Unrecht: eine Madonna bei
Boehler in München, über deren Herkunft die
Akten noch nicht geschlossen sind, ferner die neuer-
dings viel erörterte Bildhauerbüste aus S. Peter in
Konstanz, jetzt im Rosgartenmuseum, die für Niclaus
zu unsicher ist und vielleicht als Jugendschöpfung
des Heinrich Yselin angesehen werden darf.
Diese Arbeitsmethode erscheint nun gerade im
vorliegenden Falle recht bedenklich, weil fast alle
urkundlich überlieferten Tatsachen bisher noch
zweifelhaft sind. Über die Jugend des Künstlers
erfahren wir garnichts; die Hypothesen des Ver-
fassers über die Herkunft des Meisters aus der
burgundischen Schule sind vage. 1464 erscheint
Niclaus in Straßburg, 1467 folgt er einem Rufe
nach Wien. In den drei Jahren sind folgende
Werke entstanden: Straßburg, Kanzleiportal, 1464
(erhalten nur die Abgüsse zweier Büsten); Straß-
burg, S. Marxstift, 4 Holzbüsten (nicht urkundlich
bezeugt, doch stilistisch mit den Kanzleiportalbüsten
nahe verwandt); Madonnenrelief von 1464 in der
Johanneskapelle des Straßburger Münsters (dieses
Werk, sowie die Zinnensäule im Museum sind be-
reits in einem Aufsatze von Robert Bruck über
Elsässische Holzplastik im „Kunstgewerbe in E1-
saß-Lothringen" II, 179 erwähnt, den der Verfasser
völlig mit Stillschweigen übergeht); Hochaltar des
Konstanzer Münsters, 1464, zerstört; Kruzifix in
Baden-Baden, 1467. Schon die Zahl der genann-
ten Schöpfungen ist für eine Tätigkeit von drei
Jahren sehr groß; und nun werden dem Meister
gar noch das gesamte Konstanzer Gestühl und
die stilistisch von ihm durchaus verschiedenen
Türen des Konstanzer Münsters zugewiesen. Daß
er an beiden Arbeiten beteiligt ist, steht außer
Frage; doch wäre genauer zu untersuchen ge-
wesen, wie weit sein persönlicher Anteil geht;
denn von dem Vertrag zur Lieferung des Ge-
stühles wird er bereits 1467 entbunden; es sollen
„die verdinge des gestüles halb abesin“, heißt es
in dem neuen Vertrag vom 17. April 1467; und
auch die Türen werden laut Inschrift erst 1470
fertiggestellt, als Niclaus längst in Österreich weilt.
— Dort folgen dann noch die Grabmäler der Kai-
serin Eleonore in Wiener Neustadt und des Kaisers
Friedrich III. in S. Stephan in Wien. Warum der
Tod des Künstlers gerade in das Jahr 1487 fallen
soll, ist nicht einzusehen. Bekannt ist lediglich
die Tatsache, daß 1487 Peter Gerhaert, Meister Nic-
laus des Bildehouwers seligen sun, in Straßburg
erwähnt wird. Wann dieser Meister Niclaus ge-
storben ist, hat Mair nicht ermittelt; selbst die
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