beid einfolge des starken Reflexlichtes die Krakelüren und Übermalungen genauer
erkennen lassen als manche zeichnerische Details1). Baron v. Liphart nennt das
Gemälde eine Kopie aus dem akademischen Empire, aus Davids Schule. Die regel-
mäßigen großen Risse der Farbschicht, die auf den Gebrauch von Asphalt und ge-
kochtem Leinöl zurückzuführen seien, bildeten dafür einen unwiderleglichen Be-
weis. Diese Technik komme nicht einmal im 17. geschweige denn im 16. Jahr-
hundert vor. Das Bild sei aus einem Guß und nichts hinzugetan, auch die Flügel
nicht. Der noch lebende Restaurator, der 1886 das Bild auf Leinwand übertrug,
erkläre, es sei auf ein neues Brett gemalt gewesen. Das Exemplar der Eremitage
beweise aber jedenfalls die Existenz eines älteren Werkes im Anfang des 19. Jahr-
hunderts.
Ein günstiger Zufall fügte es, daß die von mir hochverehrte Leonardoforscherin,
Fräulein Marie Herzfeld, vor kurzem auf meine Bitte das Gemälde untersuchen
konnte, wofür ich ihr herzlichst danke. Nach ihrem Urteil ist das Bild zwar nicht
aus der Zeit Leonardos, aber es scheint ihr doch eher eine Arbeit des 17. Jahr-
hunderts als der Davidschule zu sein. Unter der Nase sei vielleicht eine Retusche.
Das weiße, halbdurchsichtige Tuch sei ursprünglich und nicht etwa Übermalung
eines Tierfelles. Der Grundton des Bildes sei goldbraun; braun in allen Nuancen
bilde die Farbe des Bildes: das weiße Gewand nachgebräunt, braun (lionato) die
Augen, zigeunerbraun der Körper, heller das Gesicht mit gelbbraunen Lichtern.
Die Flügel seien so dunkel, daß von Farbe an ihnen nichts mehr wahrzunehmen
sei. Das Bild entspreche — wie ich schon vermutet hatte — genau der bekann-
ten Schülerzeichnung in Windsor.
Obwohl sich mir noch nicht Gelegenheit bot, das Bild zu sehen, möchte ich
doch auf Grund der von Herrn Baron v. Liphart so liebenswürdig gelieferten Photo-
graphien im folgenden ein Urteil über das Werk abgeben. Herr v. L. möge ver-
zeihen, daß ich, nur auf Photographien fußend, wenn auch auf Grund mehrjährigen
Studiums der Werke Leonardos und seiner Umgebung, es wage, einem anerkann-
ten technischen Sachverständigen und Leonardokenner entgegenzutreten.
Die Datierung des Bildes auf Grund des craquele halte ich nicht für genügend
zuverlässig. In Deutschland hat vor zwei Jahren gerade dies Kriterium vollstän-
dig Schiffbruch gelitten bei der Beurteilung der Madonna mit der Erbsenblüte
im Wallraf-Richartz-Museum zu Köln (Nr. 8). Auch hier sollte die von einem er-
fahrenen Restaurator untersuchte Sprungbildung der Farbenschicht das sichere
Kennzeichen der Verwendung von Asphalt sein, und daraufhin erklärte man mit
absoluter Bestimmtheit das Bild als eine Arbeit der zwanziger Jahre des 19. Jahr-
hunderts. Schließlich hat man sich wohl allgemein dahin geeinigt, daß die Tafel
in dieser Zeit nur eine Ausbesserung und teilweise Übermalung erlitten habe, vor-
nehmlich in den Schattenpartien. Bei dem Engel in Petersburg findet man die
großblättrigen Risse der Farbschicht ebenfalls in den dunkleren Teilen: beim Hinter-
grund, im Gewand, auf der linken Hand, auf den Flügeln und im unteren Drittel
des Gesichts. Daraus schließe ich aber nur, daß diese Stellen unter Verwendung
von Asphalt und schlechtem Leinöl übermalt sind2). Die Kopie ist m. E. nämlich
(1) Siehe Abbildung 2.
(2) Es wäre ganz irrig, zu glauben, der Asphalt sei erst im 19. Jahrhundert als Farbstoff in der Malerei
verwendet. H. Otto Vermehren, Restaurator an der Galerie der Uffizien, sagte mir, Asphalt begegne
uns sicher schon in Bildern des 17. Jahrhunderts. Wir besitzen aber bereits ein Zeugnis, das auf
Leonardos Zeit und dessen Werkstatt zurückgeht. Paolo Lomazzo schreibt im Trattato della Pittura
S. 184 (gedruckt in Mailand 1584; verfaßt bereits um 1560): „Sono ancora altri colori trasparenti, i
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erkennen lassen als manche zeichnerische Details1). Baron v. Liphart nennt das
Gemälde eine Kopie aus dem akademischen Empire, aus Davids Schule. Die regel-
mäßigen großen Risse der Farbschicht, die auf den Gebrauch von Asphalt und ge-
kochtem Leinöl zurückzuführen seien, bildeten dafür einen unwiderleglichen Be-
weis. Diese Technik komme nicht einmal im 17. geschweige denn im 16. Jahr-
hundert vor. Das Bild sei aus einem Guß und nichts hinzugetan, auch die Flügel
nicht. Der noch lebende Restaurator, der 1886 das Bild auf Leinwand übertrug,
erkläre, es sei auf ein neues Brett gemalt gewesen. Das Exemplar der Eremitage
beweise aber jedenfalls die Existenz eines älteren Werkes im Anfang des 19. Jahr-
hunderts.
Ein günstiger Zufall fügte es, daß die von mir hochverehrte Leonardoforscherin,
Fräulein Marie Herzfeld, vor kurzem auf meine Bitte das Gemälde untersuchen
konnte, wofür ich ihr herzlichst danke. Nach ihrem Urteil ist das Bild zwar nicht
aus der Zeit Leonardos, aber es scheint ihr doch eher eine Arbeit des 17. Jahr-
hunderts als der Davidschule zu sein. Unter der Nase sei vielleicht eine Retusche.
Das weiße, halbdurchsichtige Tuch sei ursprünglich und nicht etwa Übermalung
eines Tierfelles. Der Grundton des Bildes sei goldbraun; braun in allen Nuancen
bilde die Farbe des Bildes: das weiße Gewand nachgebräunt, braun (lionato) die
Augen, zigeunerbraun der Körper, heller das Gesicht mit gelbbraunen Lichtern.
Die Flügel seien so dunkel, daß von Farbe an ihnen nichts mehr wahrzunehmen
sei. Das Bild entspreche — wie ich schon vermutet hatte — genau der bekann-
ten Schülerzeichnung in Windsor.
Obwohl sich mir noch nicht Gelegenheit bot, das Bild zu sehen, möchte ich
doch auf Grund der von Herrn Baron v. Liphart so liebenswürdig gelieferten Photo-
graphien im folgenden ein Urteil über das Werk abgeben. Herr v. L. möge ver-
zeihen, daß ich, nur auf Photographien fußend, wenn auch auf Grund mehrjährigen
Studiums der Werke Leonardos und seiner Umgebung, es wage, einem anerkann-
ten technischen Sachverständigen und Leonardokenner entgegenzutreten.
Die Datierung des Bildes auf Grund des craquele halte ich nicht für genügend
zuverlässig. In Deutschland hat vor zwei Jahren gerade dies Kriterium vollstän-
dig Schiffbruch gelitten bei der Beurteilung der Madonna mit der Erbsenblüte
im Wallraf-Richartz-Museum zu Köln (Nr. 8). Auch hier sollte die von einem er-
fahrenen Restaurator untersuchte Sprungbildung der Farbenschicht das sichere
Kennzeichen der Verwendung von Asphalt sein, und daraufhin erklärte man mit
absoluter Bestimmtheit das Bild als eine Arbeit der zwanziger Jahre des 19. Jahr-
hunderts. Schließlich hat man sich wohl allgemein dahin geeinigt, daß die Tafel
in dieser Zeit nur eine Ausbesserung und teilweise Übermalung erlitten habe, vor-
nehmlich in den Schattenpartien. Bei dem Engel in Petersburg findet man die
großblättrigen Risse der Farbschicht ebenfalls in den dunkleren Teilen: beim Hinter-
grund, im Gewand, auf der linken Hand, auf den Flügeln und im unteren Drittel
des Gesichts. Daraus schließe ich aber nur, daß diese Stellen unter Verwendung
von Asphalt und schlechtem Leinöl übermalt sind2). Die Kopie ist m. E. nämlich
(1) Siehe Abbildung 2.
(2) Es wäre ganz irrig, zu glauben, der Asphalt sei erst im 19. Jahrhundert als Farbstoff in der Malerei
verwendet. H. Otto Vermehren, Restaurator an der Galerie der Uffizien, sagte mir, Asphalt begegne
uns sicher schon in Bildern des 17. Jahrhunderts. Wir besitzen aber bereits ein Zeugnis, das auf
Leonardos Zeit und dessen Werkstatt zurückgeht. Paolo Lomazzo schreibt im Trattato della Pittura
S. 184 (gedruckt in Mailand 1584; verfaßt bereits um 1560): „Sono ancora altri colori trasparenti, i
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