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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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BRUCHSTÜCKE VERLORENGEGLAUBTER
BILDWERKE DES STRASSBURGER MÜN-
STERS Von HANS FRIEDRICH SECKER
Mit elf Abbildungen auf vier Tafeln .........................
Das südliche Querhausportal des Straßburger Münsters hat vor der übrigen Fassade
den Vorzug, noch heute über einen relativ großen Teil seines alten plastischen
Schmucks zu verfügen, der glücklich den Vandalismus des Jahres 1793 überstanden
hat. Wir verdanken diesen kostbaren Besitz einer List des Naturforschers Jean
Hermann, der in den schlimmsten Tagen der Revolution mit eigner Lebensgefahr
durch einige ihm ergebene Arbeiter 67 Statuen bei Nacht in den ihm unterstehen-
den botanischen Garten schaffen ließ1); von diesen Bildwerken gehörten dem Süd-
portal zwar nur die berühmten Frauengestalten der Ekklesia und Synagoge, aber
auch die großen Halbkreistympana mit dem Tod und mit der Krönung Mariae
blieben erhalten, nachdem sie Hermann in derselben Nacht mit Brettern hatte ver-
kleiden lassen, auf denen man in großen Buchstaben die Worte „Liberte, Egalite,
Fraternite" las 2).
Zerstört wurden damals an diesem Doppelportal, wie wir aus dem Isaac Brunn-
schen Kupferstich vom Jahre 1617, (Ausschnitt: Abb. 5) ersehen, die zwölf Apostel-
statuen in den Gewänden, sowie zwei rechteckige Türsturzreliefs mit der Grab-
tragung und Himmelfahrt Mariae. Und von allen diesen Skulpturen glaubte man
bislang, sie seien vollständig verschollen. Da gelang es mir jüngst, ein paar ver-
streut zu Straßburg befindliche Köpfe als Bruchstücke dieser frühesten Münster-
plastik wiederzuerkennen; zunächst nur zwei: barhäuptige, bärtige Männerköpfe aus
rotem Sandstein, mit Vollbart und Kopfhaar, 28 cm hoch (Abb. 1, 2 und Abb. 3),
die sich jetzt im Elsässischen Altertumsmuseum befinden.
Sie haben ein merkwürdiges Schicksal gehabt, worüber sich eine komplette Lite-
ratur zusammenstellen läßt. Schon in einem Brief an den Bürger Gregoire, Volks-
repräsentanten zu Paris, geschrieben im dritten Jahre der fränkischen Republik —
1795 —, entrüstet sich der Straßburger Bürger G. Wedekind in einer Fußnote:
„Die modernen Vandalen haben sich sogar eine Angelegenheit daraus gemacht,
mit zerschlagenen Statuen eine Straße ausbessern zu lassen".
Dieser Bemerkung entspricht die Notiz bei Hermann: „Pres de la chapelle de
S. Laurent il y avoit une vieille chaire, peu haute: elle fut abattue et avec ses
debris et ceux de plusieurs statues on exhaussa la rue de la Poule et celle des
Planches au quartier de la Krautenau".
Zu diesen zum Pflastern der Krutenaustraßen verwendeten Statuen gehörten eine
Anzahl Köpfe, von denen Hermann an anderer Stelle erzählt, daß sie sein Bruder
nebst der antiken Statuette des sogenannten Krutzmann auf die Stadtbibliothek ge-
rettet habe.
Der „Congres Archeologique de France" vom Jahre 1859 (22. August) führt noch
gelegentlich einer Besichtigung der alten Stadtbibliothek unter § 11 an: un grand

(1) Jean Hermann, Notes historiques et archeologiques sur Strasbourg avant et pendant la revolution,
publiees par Rodolphe Reuß, Strasbourg 1905.

(2) Rod. Reuß, La cathedrale de Strasbourg pendant la revolution, Paris 1888.

(3) Als Illustration Nr. 6 bei Oseas Schadaeus, Summurn Argentoratensium Templum, Straßburg 1617.

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