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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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dieser wundervollen, eleganten Frauengestalt mit ihrer ins Anormale gesteigerten
Höhendimension (1,83 m bis zur Krone, zu 0,17 m Kopfeshöhe ohne Krone) die
nur wenig älteren Apostel größere Köpfe hatten trotz ihrer geringeren Körperhöhe.
Die Nimben waren nicht an den Köpfen, sondern wie der Stich und zwei heute
noch sichtbare Bruchstellen zeigen, am Portalgewände selber fest und aus Stein.
Während bei den beiden besprochenen Köpfen kaum ein Zweifel sein kann, daß
sie so wie geschehen in die Plastik des Münsters einzuordnen sind, fand sich bei
ihnen im Altertumsmuseum unter anderen zweifellos späteren Bruchstücken noch
der abgeschlagene Kopf eines Königs (Abb. 7), dessen Herkunft weniger bestimmt
erscheint. Er wurde im Hause Hackenschmidt (Krämergasse, ganz nahe beim
Münster) gefunden und hat viel Ähnliches mit den Skulpturen des Südportals. Allein
die mehr handwerkliche Technik und die auffallend vereinfachte Frisur geben zu
denken. Es ist unwahrscheinlich, daß der zu ebener Erde am Südportal sitzende
König (Salomo?) weniger sorgfältig oder von geringerer Hand gemeißelt wurde,
als die übrige Plastik. Andrerseits schließt der Fassadenstil des frühen XIV. Jahr-
hunderts, ich denke an eine Reihe Skulpturen der Westportale, zum Teil sehr eng
und geradezu archaisierend an jene Querhauskunst an.
Ganz gewiß aber gehören noch zum Portal der Ekklesia und Synagoge, und
zwar wieder zu den Gewändeaposteln, drei andere Männerköpfe: ein bartloser,
vielleicht Johannes (Abb. 9), aus dem Besitze des Herrn Dombaumeisters Knauth,
und zwei bärtige (Abb. 10 und 11), die sich im Frauenhaus befinden. Damit sind
nicht weniger als fünf dieser Apostelköpfe bekannt.
Von den Gewandteilen werden jedenfalls niemals Bruchstücke zu finden sein.
Die Revolutionäre waren in nichts gewissenhafter als in der Zerstörung, und es ist
seltsam genug, daß durch den stürmischen Wandel der Schreckensjahre und ein
ganzes ereignisreiches Jahrhundert hindurch so viel von jener frühesten Münster-
plastik relativ wohlerhalten auf uns gekommen ist. Vielleicht ein Glück, daß die
Stücke solange unerkannt blieben und nicht das restaurationsfrohe XIX. Jahrhundert
die Lücken mit so kläglichen Skulpturen füllte, wie zum Beispiel der ersetzte
„König Salomo" von Vallastre ist. (In der Tat wurden einmal einige moderne
Apostel im „Stil der Engelspfeilerfiguren" gemeißelt, gelangten aber Gott sei Dank
nicht zur Aufstellung. Sie stehen heute im Treppenhaus des Priesterseminars.)
So sehr wir den großen Verlust jener frühen Apostel bedauern müssen, wir können
es nicht genug begrüßen, daß nicht entwürdigende Surrogate an ihre Stelle kamen.
Ja, ästhetisch hat die Gesamtanlage des Portals — es klingt vielleicht paradox —
sogar gewonnen. Das Zusammendrängen lebensgroßer Figuren in den Portalge-
wänden, zumal wo sie die Funktion gebälktragender Säulen unorganisch unter-
brechen, war von jeher eine ungerechtfertigte Unschönheit, die die Deutschen von
den Franzosen rezipierten. Wie heute die glatten, schlanken Säulenschäfte sich
über den Kapitellen zu ganz ebenso profilierten Archivolten fortsetzen und die Zahl
der Freiplastiken maßvoll auf drei vor die trennenden Lisenen gestellte Bildwerke
reduziert ist, das ist im Sinne der Gesamtkomposition entschieden edler.
Ein teuer erkauftes Beispiel unbeabsichtigter künstlerischer Wirkung!

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