OSKAR MÜNSTERBERG, Chinesische
Kunstgeschichte. Band I: Vorbuddhisti-
sche Zeit. Die hohe Kunst (Malerei und
Bildhauerei). Mit 15 Kunstbeilagen und
321 Abbildungen im Text. XVI u. 352 S.
Lex. 80. Esslingen, Paul Neff Verlag,
1910. Geh. M. 20.—, geb. M. 23.—.
In allen Einzelzügen die geradezu zermalmende
Unzulänglichkeit bloßzulegen, die diese erste sich
wissenschaftlich gebahrende chinesische Kunst-
geschichte darstellt, scheint mir ein vergebliches
Unterfangen. Ich muß mich damit begnügen, an
der Hand einiger nach Möglichkeit wörtlicher Stich-
proben den Leser den Grad des Unwillens (oder
der Heiterkeit) ahnen zu lassen, den die Lektüre
dieses Werkes erregt.
„Die Richtlinie seiner kunsthistorischen Be-
tätigung bis zum heutigen Tage" fand Münster-
berg (Vorwort) in „seinen Studien zu seiner ersten
gedruckten Arbeit: Bayern und Asien im XVI.,
XVII. und XVIII. Jahrhundert", d. h. in bayrischen
Archiven und Schlössern (nicht etwa, wie man
von dem Autor einer ostasiatischen Kunstgeschichte
erwarten möchte, in China und Japan, wo Münster-
berg sich ganze vierzehn Tage aufgehalten hat).
Nach ihm hat es in der Weltgeschichte nur eine
in sich zusammenhängende Kulturentwicklung ge-
geben. Nachdem er das Fehlen systematischer
Ausgrabungen in China beklagt hat, der vielen
Grabhügel, die Jahrhunderte vor unserer Zeit-
rechnung datiert (!) sind, konstruiert er (Stein-
zeit, pag. 11) einen „westlichen kaukasoiden Volks-
stamm, der die ersten Anfänge einer Kunst nach
Ostasien gebracht hat", auch die keramische Orna-
mentik, der bei aller Mannigfaltigkeit der Formen
„doch Menschen- und Tierdarstellungen fehlten."
Was ihn nicht hindert, schon auf der nächsten
Seite auf Tontäfelchen hinzuweisen, die mit Augen
und Nase verziert sind. Gewisse Formen ent-
sprächen so wenig „der Technik des Tonscherbens",
daß er sie als Nachahmung älterer Bronzevor-
bilder betrachtet, obwohl er ein paar Sätze vorher
den „späteren Bronzestil alle früheren Formen
verdrängen" läßt.
Je tiefer man in das Labyrinth (nur Conradys
dem Autor geliehenen Untersuchungen der ältesten
literarischen Erwähnungen chinesischer Bildnerei
sind eine erquickende Oase) gequälter Hypo-
thesen und haltloser Behauptungen eindringt,
desto toller werden die Konstruktionsfehler an
diesem „ersten Konstruktionsgerüst einer neu ent-
stehenden Wissenschaft" (so betitelt Münsterberg
236
bescheiden sein opus). Der Katalog des Kaisers
Huitsung, ein wichtiges kunsthistorisches Doku-
ment, gäbe keine Vorstellung der wirklichen Ob-
jekte, da alle unklaren Reliefs (Münsterberg nennt
Reliefs von Bronzen unklar, die er nie gesehen
hat!) in scharfen Linien ausgeführt seien. Sie
müssen aber unscharf gewesen sein, da ja auch
ausgesprochene Spiegel der T'ang Dynastie roh
seien und jeder künstlerischen Durcharbeitung ent-
behrten. Die seit der T'ang-Zeit im kaiserlich
japanischen Schatzhaus (Shosoin) zu Nara aufbe-
wahrten Spiegel, in vortrefflichen Abbildungen in
Japan reproduziert, beweisen das Gegenteil. Alle
erhaltenen alten Bronzen bis zur T'ang-Zeit hätten
verschwommene Reliefs. Es ist umgekehrt: gerade
die ehrwürdigsten Bronzen zeigen eine Präzision
des Ornamentes, die später selten oder nie wieder
erreicht wurde. Stilkritische Untersuchungen, auf
so elementaren Irrtümern aufgebaut, haben natür-
lich nicht den geringsten Wert. — Im Kapitel:
„Mykenischer Stil" unternimmt der Autor den Be-
weis, die chinesische Bronzeornamentik von Mykene
herzuleiten. Er beginnt ihn mit dem Ochsen.
„Weder in Japan noch in Süd-China ist bis zum
heutigen Tage der Ochse als Pflugtier ein wirt-
schaftlicher Faktor." Bushell, (Chinese Art I.
pag. 59) für things Chinese keine schlechte Autorität,
schreibt: „Der Ochse ist in China als das wichtigste
landwirtschaftliche Tier geheiligt seit den ältesten
Zeiten . . ." Das „kleine Bauernreich China" er-
hielt aus Mykene volkstümliche Massenware, und
chinesische Bronzegefäße verhalten sich darum zu
mykenischen Vorlagen wie Delfter Fayence zu
feinem Chinaporzellan. Auch hier ist das umge-
kehrte richtig: chinesische Bronzen der vorchrist-
lichen Zeit gehören zu dem Gewaltigsten und Ur-
sprünglichsten, das Menschengeist je hervorge-
bracht hat.
Ich überspringe einige der nun folgenden ver-
worrenen Kapitel (das einzig klare darin sind er-
staunlich umfangreiche Ausschreibungen aus Laufer,
Chavannes, Hirth, Morse usw.1)) und wende mich
zu dem allgemeiner interessierenden Abschnitt:
Hohe Kunst. Münsterberg leitet den Besuch zu
diesem Irrgarten ein mit der Behauptung, nur
(1) Man muß anerkennen, daß der Autor hier noch ver-
hältnismäßig großmütigen Gebrauch von Gänsefüßchen
macht. Im Kapitel „hohe Kunst" scheint er zu der Er-
kenntnis gekommen zu sein, daß ein Übermaß an Gänse-
füßchen das typographische Bild beeinträchtigt. Pag. 214
z. B. enthält einen ganzen Absatz sich sehr gelehrt geben-
der Mitteilungen über die frühesten Arhatdarstellungen, für
deren Veröffentlichung Münsterberg Dank verdiente, hätte
er sie nicht, ohne seine Quelle anzugeben, einem englisch-
japanischen Werk entnommen (Tajima, Selected relics,
Vol. XI. 15).
Kunstgeschichte. Band I: Vorbuddhisti-
sche Zeit. Die hohe Kunst (Malerei und
Bildhauerei). Mit 15 Kunstbeilagen und
321 Abbildungen im Text. XVI u. 352 S.
Lex. 80. Esslingen, Paul Neff Verlag,
1910. Geh. M. 20.—, geb. M. 23.—.
In allen Einzelzügen die geradezu zermalmende
Unzulänglichkeit bloßzulegen, die diese erste sich
wissenschaftlich gebahrende chinesische Kunst-
geschichte darstellt, scheint mir ein vergebliches
Unterfangen. Ich muß mich damit begnügen, an
der Hand einiger nach Möglichkeit wörtlicher Stich-
proben den Leser den Grad des Unwillens (oder
der Heiterkeit) ahnen zu lassen, den die Lektüre
dieses Werkes erregt.
„Die Richtlinie seiner kunsthistorischen Be-
tätigung bis zum heutigen Tage" fand Münster-
berg (Vorwort) in „seinen Studien zu seiner ersten
gedruckten Arbeit: Bayern und Asien im XVI.,
XVII. und XVIII. Jahrhundert", d. h. in bayrischen
Archiven und Schlössern (nicht etwa, wie man
von dem Autor einer ostasiatischen Kunstgeschichte
erwarten möchte, in China und Japan, wo Münster-
berg sich ganze vierzehn Tage aufgehalten hat).
Nach ihm hat es in der Weltgeschichte nur eine
in sich zusammenhängende Kulturentwicklung ge-
geben. Nachdem er das Fehlen systematischer
Ausgrabungen in China beklagt hat, der vielen
Grabhügel, die Jahrhunderte vor unserer Zeit-
rechnung datiert (!) sind, konstruiert er (Stein-
zeit, pag. 11) einen „westlichen kaukasoiden Volks-
stamm, der die ersten Anfänge einer Kunst nach
Ostasien gebracht hat", auch die keramische Orna-
mentik, der bei aller Mannigfaltigkeit der Formen
„doch Menschen- und Tierdarstellungen fehlten."
Was ihn nicht hindert, schon auf der nächsten
Seite auf Tontäfelchen hinzuweisen, die mit Augen
und Nase verziert sind. Gewisse Formen ent-
sprächen so wenig „der Technik des Tonscherbens",
daß er sie als Nachahmung älterer Bronzevor-
bilder betrachtet, obwohl er ein paar Sätze vorher
den „späteren Bronzestil alle früheren Formen
verdrängen" läßt.
Je tiefer man in das Labyrinth (nur Conradys
dem Autor geliehenen Untersuchungen der ältesten
literarischen Erwähnungen chinesischer Bildnerei
sind eine erquickende Oase) gequälter Hypo-
thesen und haltloser Behauptungen eindringt,
desto toller werden die Konstruktionsfehler an
diesem „ersten Konstruktionsgerüst einer neu ent-
stehenden Wissenschaft" (so betitelt Münsterberg
236
bescheiden sein opus). Der Katalog des Kaisers
Huitsung, ein wichtiges kunsthistorisches Doku-
ment, gäbe keine Vorstellung der wirklichen Ob-
jekte, da alle unklaren Reliefs (Münsterberg nennt
Reliefs von Bronzen unklar, die er nie gesehen
hat!) in scharfen Linien ausgeführt seien. Sie
müssen aber unscharf gewesen sein, da ja auch
ausgesprochene Spiegel der T'ang Dynastie roh
seien und jeder künstlerischen Durcharbeitung ent-
behrten. Die seit der T'ang-Zeit im kaiserlich
japanischen Schatzhaus (Shosoin) zu Nara aufbe-
wahrten Spiegel, in vortrefflichen Abbildungen in
Japan reproduziert, beweisen das Gegenteil. Alle
erhaltenen alten Bronzen bis zur T'ang-Zeit hätten
verschwommene Reliefs. Es ist umgekehrt: gerade
die ehrwürdigsten Bronzen zeigen eine Präzision
des Ornamentes, die später selten oder nie wieder
erreicht wurde. Stilkritische Untersuchungen, auf
so elementaren Irrtümern aufgebaut, haben natür-
lich nicht den geringsten Wert. — Im Kapitel:
„Mykenischer Stil" unternimmt der Autor den Be-
weis, die chinesische Bronzeornamentik von Mykene
herzuleiten. Er beginnt ihn mit dem Ochsen.
„Weder in Japan noch in Süd-China ist bis zum
heutigen Tage der Ochse als Pflugtier ein wirt-
schaftlicher Faktor." Bushell, (Chinese Art I.
pag. 59) für things Chinese keine schlechte Autorität,
schreibt: „Der Ochse ist in China als das wichtigste
landwirtschaftliche Tier geheiligt seit den ältesten
Zeiten . . ." Das „kleine Bauernreich China" er-
hielt aus Mykene volkstümliche Massenware, und
chinesische Bronzegefäße verhalten sich darum zu
mykenischen Vorlagen wie Delfter Fayence zu
feinem Chinaporzellan. Auch hier ist das umge-
kehrte richtig: chinesische Bronzen der vorchrist-
lichen Zeit gehören zu dem Gewaltigsten und Ur-
sprünglichsten, das Menschengeist je hervorge-
bracht hat.
Ich überspringe einige der nun folgenden ver-
worrenen Kapitel (das einzig klare darin sind er-
staunlich umfangreiche Ausschreibungen aus Laufer,
Chavannes, Hirth, Morse usw.1)) und wende mich
zu dem allgemeiner interessierenden Abschnitt:
Hohe Kunst. Münsterberg leitet den Besuch zu
diesem Irrgarten ein mit der Behauptung, nur
(1) Man muß anerkennen, daß der Autor hier noch ver-
hältnismäßig großmütigen Gebrauch von Gänsefüßchen
macht. Im Kapitel „hohe Kunst" scheint er zu der Er-
kenntnis gekommen zu sein, daß ein Übermaß an Gänse-
füßchen das typographische Bild beeinträchtigt. Pag. 214
z. B. enthält einen ganzen Absatz sich sehr gelehrt geben-
der Mitteilungen über die frühesten Arhatdarstellungen, für
deren Veröffentlichung Münsterberg Dank verdiente, hätte
er sie nicht, ohne seine Quelle anzugeben, einem englisch-
japanischen Werk entnommen (Tajima, Selected relics,
Vol. XI. 15).