Hirth wußte von der japanischen Kunst nichts und
hat seine Hypothese, die jetzt durch die Tatsache
ihrer Existenz selbst Tatsache geworden zu sein
scheint, nur aufgestellt, weil Gonse, der von der
älteren japanischen Kunst fast ebensowenig wußte,
als von der älteren chinesischen, in den frühesten
Werken der buddhistischen Kunst Japans mehr
indischen als chinesischen Charakter fand. Da
aber die japanische Kunst dieser Zeit genau so-
viel indischen oder nichtindischen Charakter trägt,
wie die chinesische, so sollte Wei-ch'ih J-seng als
Träger indischer Einflüsse nach Korea und über
Korea nach Japan, aus der Kunstgeschichte ge-
strichen werden.
Dem Werte des Buches, dessen Hauptteil ja
ganz andere Themata behandelt, tun indessen
diese Mängel der einleitenden Kapitel nur geringen
Eintrag. Wo der Verfasser seinen Stoff wirklich
kennt, zeigt er ein sicheres Urteil, und das feine
Verständnis für die künstlerischen Werte, das sich
auch in der angenehmen Ruhe der Diktion äußert,
wäre manchem Fanatiker der Korrektheit herzlich
zu gönnen. Von einer abschließenden Darstellung
der Geschichte des japanischen Farbenholzschnittes
wäre allerdings das Seidlitzsche Werk auch dann
noch sehr weit entfernt, wenn es — was dringend
zu wünschen wäre — von einem geeigneten Japaner
an der Hand der japanischen Quellen gründlich durch-
gesehen würde. Eine solche Geschichte ist unmög-
lich ohne eine Durchforschung des riesigen Ma-
terials, das in Europa und Amerika aufgehäuft ist,
und ohne die Durcharbeitung der japanischen
Literatur und Archive, die nur in Japan selbst
geschehen kann. Vorläufig allerdings hat die ja-
panische Kunstwissenschaft besseres zu tun.
Kümmel.
JARO SPRINGER, Die Radierungen
des Herkules Seghers. I. Teil, Tafel
I — XXIV. (XIII. Veröffentl. der Graphi-
schen Gesellschaft.) Berlin 1910, Bruno
Cassierer.
Der oft geäußerte Wunsch, die seltenen Ra-
dierungen des Herkules Seghers in guten Repro-
duktionen vereinigt zu sehen, geht mit dieser Pu-
blikation aufs beste in Erfüllung. Die vorzügliche
Wiedergabe der Originalblätter verdient um so
mehr Anerkennung, als gerade Seghers' farbige
Radierungen infolge der verschiedenartigen tech-
nischen Wirkungsmittel, deren sich der Künstler
bedient, einer genauen Nachbildung erhebliche
Schwierigkeiten entgegensetzen. Nicht geringere
Anerkennung als diese Lichtdrucktafeln, deren Her-
stellung Paul Kristeller leitete, verdient auch die
Arbeit des Herausgebers Jaro Springer. Hinter
seinen kurzen Anmerkungen, die er zu den ein-
zelnen Blättern gibt — eine Einleitung und ein
ausführliches systematisches Verzeichnis der Ra-
dierungen wird erst in der zweiten Lieferung ent-
halten sein — verbirgt sich eine sehr gründliche
Kenntnis des weithin verstreuten Materials, das
der Herausgeber in jahrelangen eingehenden Stu-
dien sorgfältig durchforscht hat.
Die Radierungen, die auf den vorliegenden 24
Tafeln reproduziert sind, geben bereits einen guten
Überblick über das graphische Schaffen des Meisters.
Neben den Hochgebirgsszenerien, in denen der
Zusammenhang seiner Kunst mit der ihr voran-
gegangenen Periode der niederländischen Land-
schaftsmalerei hervortritt, finden sich einige jener
schlichten Flachlandschaften, die ganz im Sinne
des XVII. Jahrhunderts aufgefaßt sind. Die nach
Hans Baldung Griens Holzschnitt der „Beweinung
Christi" im Gegensinne radierte Kopie, drei Marinen
— darunter das von einer bedrückenden, schauer-
lichen Stimmung durchwehte Blatt „der Seesturm"
— die Blätter „das Pferd", der „Totenkopf" und
das Stilleben „Die drei Bücher" legen von der Viel-
seitigkeit des großen holländischen Meisters Zeug-
nis ab. Bei den schönen Blättern „Kleine Ansicht
von Rhenen" und „Das Flußufer" weist Springer
darauf hin, daß Überarbeitungen von der Hand
Anton Waterloos existieren (Bartsch 90 und 91).
Auf seiner Überarbeitung des ersten Blattes er-
weiterte Waterloo die Partie des Himmels beträcht-
lich, auf seiner Überarbeitung des „Flußufers"
brachte er noch einen vorderen Uferrand mit vier
Staffagefiguren an. E. Plietzsch.
HANS SEMPER, Michael und Fried-
richPacher, ihr Kreis und ihreNach-
folger. Zur Geschichte der Malerei und
Skulptur des XV. und XVI. Jahrhunderts
in Tirol. Mit 186 Abbildungen im Text.
Paul Neff Verlag (Max Schreiber), Eß-
lingen a. N. 1911.
Der um die Erforschung der Alttiroler Kunst
rühmlich bekannte Innsbrucker Gelehrte hat im
vorliegenden hübsch ausgestatteten Bande alle jene
seiner Arbeiten gesammelt, die er im Verlauf einer
Reihe von Jahren der Pacherforschung gewidmet
hat. Dem mit dem Forschungsgebiete Vertrauten
sind die meisten der gesammelten Aufsätze daher
alte Bekannte; er begrüßt die Zusammenstellung
der vielfach zerstreuten Beiträge in einen Band
aber um so mehr, als Semper nicht nur manche
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hat seine Hypothese, die jetzt durch die Tatsache
ihrer Existenz selbst Tatsache geworden zu sein
scheint, nur aufgestellt, weil Gonse, der von der
älteren japanischen Kunst fast ebensowenig wußte,
als von der älteren chinesischen, in den frühesten
Werken der buddhistischen Kunst Japans mehr
indischen als chinesischen Charakter fand. Da
aber die japanische Kunst dieser Zeit genau so-
viel indischen oder nichtindischen Charakter trägt,
wie die chinesische, so sollte Wei-ch'ih J-seng als
Träger indischer Einflüsse nach Korea und über
Korea nach Japan, aus der Kunstgeschichte ge-
strichen werden.
Dem Werte des Buches, dessen Hauptteil ja
ganz andere Themata behandelt, tun indessen
diese Mängel der einleitenden Kapitel nur geringen
Eintrag. Wo der Verfasser seinen Stoff wirklich
kennt, zeigt er ein sicheres Urteil, und das feine
Verständnis für die künstlerischen Werte, das sich
auch in der angenehmen Ruhe der Diktion äußert,
wäre manchem Fanatiker der Korrektheit herzlich
zu gönnen. Von einer abschließenden Darstellung
der Geschichte des japanischen Farbenholzschnittes
wäre allerdings das Seidlitzsche Werk auch dann
noch sehr weit entfernt, wenn es — was dringend
zu wünschen wäre — von einem geeigneten Japaner
an der Hand der japanischen Quellen gründlich durch-
gesehen würde. Eine solche Geschichte ist unmög-
lich ohne eine Durchforschung des riesigen Ma-
terials, das in Europa und Amerika aufgehäuft ist,
und ohne die Durcharbeitung der japanischen
Literatur und Archive, die nur in Japan selbst
geschehen kann. Vorläufig allerdings hat die ja-
panische Kunstwissenschaft besseres zu tun.
Kümmel.
JARO SPRINGER, Die Radierungen
des Herkules Seghers. I. Teil, Tafel
I — XXIV. (XIII. Veröffentl. der Graphi-
schen Gesellschaft.) Berlin 1910, Bruno
Cassierer.
Der oft geäußerte Wunsch, die seltenen Ra-
dierungen des Herkules Seghers in guten Repro-
duktionen vereinigt zu sehen, geht mit dieser Pu-
blikation aufs beste in Erfüllung. Die vorzügliche
Wiedergabe der Originalblätter verdient um so
mehr Anerkennung, als gerade Seghers' farbige
Radierungen infolge der verschiedenartigen tech-
nischen Wirkungsmittel, deren sich der Künstler
bedient, einer genauen Nachbildung erhebliche
Schwierigkeiten entgegensetzen. Nicht geringere
Anerkennung als diese Lichtdrucktafeln, deren Her-
stellung Paul Kristeller leitete, verdient auch die
Arbeit des Herausgebers Jaro Springer. Hinter
seinen kurzen Anmerkungen, die er zu den ein-
zelnen Blättern gibt — eine Einleitung und ein
ausführliches systematisches Verzeichnis der Ra-
dierungen wird erst in der zweiten Lieferung ent-
halten sein — verbirgt sich eine sehr gründliche
Kenntnis des weithin verstreuten Materials, das
der Herausgeber in jahrelangen eingehenden Stu-
dien sorgfältig durchforscht hat.
Die Radierungen, die auf den vorliegenden 24
Tafeln reproduziert sind, geben bereits einen guten
Überblick über das graphische Schaffen des Meisters.
Neben den Hochgebirgsszenerien, in denen der
Zusammenhang seiner Kunst mit der ihr voran-
gegangenen Periode der niederländischen Land-
schaftsmalerei hervortritt, finden sich einige jener
schlichten Flachlandschaften, die ganz im Sinne
des XVII. Jahrhunderts aufgefaßt sind. Die nach
Hans Baldung Griens Holzschnitt der „Beweinung
Christi" im Gegensinne radierte Kopie, drei Marinen
— darunter das von einer bedrückenden, schauer-
lichen Stimmung durchwehte Blatt „der Seesturm"
— die Blätter „das Pferd", der „Totenkopf" und
das Stilleben „Die drei Bücher" legen von der Viel-
seitigkeit des großen holländischen Meisters Zeug-
nis ab. Bei den schönen Blättern „Kleine Ansicht
von Rhenen" und „Das Flußufer" weist Springer
darauf hin, daß Überarbeitungen von der Hand
Anton Waterloos existieren (Bartsch 90 und 91).
Auf seiner Überarbeitung des ersten Blattes er-
weiterte Waterloo die Partie des Himmels beträcht-
lich, auf seiner Überarbeitung des „Flußufers"
brachte er noch einen vorderen Uferrand mit vier
Staffagefiguren an. E. Plietzsch.
HANS SEMPER, Michael und Fried-
richPacher, ihr Kreis und ihreNach-
folger. Zur Geschichte der Malerei und
Skulptur des XV. und XVI. Jahrhunderts
in Tirol. Mit 186 Abbildungen im Text.
Paul Neff Verlag (Max Schreiber), Eß-
lingen a. N. 1911.
Der um die Erforschung der Alttiroler Kunst
rühmlich bekannte Innsbrucker Gelehrte hat im
vorliegenden hübsch ausgestatteten Bande alle jene
seiner Arbeiten gesammelt, die er im Verlauf einer
Reihe von Jahren der Pacherforschung gewidmet
hat. Dem mit dem Forschungsgebiete Vertrauten
sind die meisten der gesammelten Aufsätze daher
alte Bekannte; er begrüßt die Zusammenstellung
der vielfach zerstreuten Beiträge in einen Band
aber um so mehr, als Semper nicht nur manche
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