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ERSTER TEIL.

Niederländische Malerei des frühen 16. Jahrhunderts und die Anfänge

stillebenhafter Darstellung.

Der Versuch, die von Georg Flegel um und nach 1600 geschaffenen Stilleben in erster
Linie aus der Geschichte der niederländischen Malerei des 16. Jahrhunderts herzuleiten,
bedarf einer einführenden Begründung. Das Stilleben gehört als selbständige Bildgattung
im wesentlichen der holländischen und flämischen Malerei des 17. Jahrhunderts an; zu-
sammen mit dem Sittenbild, Vanitasdarstellungen und dem Gesellschaftsstück nimmt das
Stilleben innerhalb dieses Zeitraumes eine Stellung ein, die es nahezu als Charakteristi-
kum der holländisch-flämischen Kunst erscheinen läßt. Die schon erwähnten Arbeiten von
Dvoräk und Baldass, Rudolph u. a. haben die Voraussetzungen für die neuen Bildinhalte
des 17. Jahrhunderts in Gesinnung und Formen des 16. Jahrhunderts aufgezeigt und um-
schrieben. Deshalb lag es nahe, Voraussctzungen auch für das Stilleben in der Kunst des
16. Jahrhunderts zu suchen. Die auf Janitschek1) und Schram2) zurückgehende Vermutung
einer Lehrzeit Flegels in den Niederlanden drängte zu neuerlicher Durchsicht des nieder-
ländischen Materials im Hinblick auf eine möglicherweise aus diesem Bereich herzuleitende
Beeinflussung Flegels. Schließlich haben zahlreiche Darstellungen und Untersuchungen,
die wir nicht einzeln aufführen wollen, nachgewiesen, daß die großen künstlerischen Ent-
scheidungen seit etwa 1530 nicht mehr auf deutschem Boden fallen; die Künstler des
deutschen Frühbarocks um 1600 müssen deshalb in rückblickender Herleitung ihres Schaf-
fens aus den entwicklungstragenden Bereichen genetisch gewürdigt werden.

Während des 16. Jahrhunderts erwuchs aus niederländisch-italienischen 'Wechselbezie-
hungen ein normativ-europäisches Kunstideal; höchste Wirksamkeit erreichte diese Form-
gesinnung in den Jahren um 1600, unmittelbar bevor die persönliche Auseinandersetzung
mit der Tradition befreiend einsetzt und das barocke Schaffen des 17. Jahrhunderts sich
Bahn bricht. Kurz nach 1600 erwächst der neuzeitliche, d. h. persönlichkeitsbedingte Stil,
getragen von Individuen, Landschaften oder Nationen —, nun auch außerhalb des nieder-
ländischen und italienischen Raumes.

Im zweiten Teil dieser Arbeit, der eine Darstellung des Lebenskreises Flegels in Frank-
furt einschließt, werden auch die persönlichen Beziehungen Flegels zu niederländischen
Künstlern behandelt werden: nach dem Fall von Antwerpen 1585 finden flämische Künst-
ler eine Heimstatt in Frankfurt, das somit zu einem Vorort niederländischer Kunst-
gesinnung in Deutschland wird.

Vorformen des Stillebens in der neueren niederländischen Malerei sollen lediglich
innerhalb des 16. Jahrhunderts nachgewiesen werden. Das 16. Jahrhundert hat durch
seinen Reichtum an Formen und Ideen dazu verlockt, lediglich durch Nennung verschie-
dener Kunstwerke diese Zeit als eine Epoche vielfachen und verschieden gerichteten
Strömens aufzufassen. Um jedoch die Entwicklung innerhalb dieses Zeitraumes zusammen
mit individuellen Bedingtheiten im Hinblick auf die Entstehung des Stillebens klarer her-
auszustellen, soll der Rahmen für diese Entwicklung nach Raum, Zeit und Künstlerper-
sönlichkeiten möglichst eng genommen werden.

Die Begründung für diese Beschränkung hat Dvoräk in dem schon zitierten grund-
legenden Aufsatz gegeben — zwar bedeutet das Wirken der Brüder van Eyck die eigent-

*) H. Janitschek, Geschichte der deutschen Malerei, 1886, S. 579.

2) W. Schram in Thieme-Beckers Künstlerlexikon, Band XII, 1916, S. 84.

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