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kerck aufgezeigt wurde, eine doppelläufige Kunstform, die sich im Nebeneinander von
komponierten und angeschauten Landschaftsdarstellungen offenbart; erlebnishaftes Ge-
stalten der 'Wirklichkeit bestimmt gewiß auch den künstlerischen Charakter der kompo-
nierten Landschaften, jedoch das Prinzip des Komponierens landschaftlicher Elemente
scheidet solche Werke Brueghels grundsätzlich von seinen unmittelbaren Naturschilde-
rungen.

Friedländer48) deutet einen zwiefachen Gestaltungskern Brueghels an: Brueghel gilt ihm als
Naturalist „in seiner wahrheitsliebenden Gesinnung . . . das Sichtbare nadizubilden“, als Nicht-
Naturalist jedoch, „sofern er . . . aus der mit Eindrücken gesättigten Phantasie Visionen verwirk-
lidit.“

In seiner Abhandlung über den Ursprung der Kunst Pieter Brueghels deutet G. Glück49) in die
Richtung unserer Annahme einer Teilung des Stiles: der Gegensatz der Werke Brueghels zu denen
seines Zeitgenossen Frans Floris kann zu der Annahme führen, daß bei Brueghel der Gang der
künstlerischen Entwicklung abbrädie. Offenbar hat Lugt die Arbeit Tolnais50) im Sinn, wenn er
vor isolierender Betrachtung eines einzelnen Künstlers warnt, welche zur Uberschätzung bestimm-
ter Eigentümlidikeiten führen kann51). Lugt unterscheidet deutlich zwischen Naturstudien und
komponierten Landschaften und beweist, daß Brueghel schon vor seiner Reise Kenntnis des ober-
italienischen Landschaftsstils hatte. — Auch Popham62) weist bei der Veröffentlichung zweier neu
aufgetauchter Landschaftszeichnungen Brueghels ausdrücklich darauf hin, wie „kunstreich Brueghel
Elemente verschiedener Kompositionen kombinierte, . . . um einen überzeugenden Landschaftszu-
sammenhang zu geben.“

Um die Jahrhundertmitte manifestiert sich die neue Tendenz zu unbedingter Natur-
darstellung besonders eindringlich im Werke Pieter Aertsens: 1551 ist die Fleischbude in
Upsala datiert53). Diesem Werk erkennt Sievers besondere Bedeutung zu, nicht nur
wegen des frühen Datums, sondern wegen seiner beunruhigend aufdringlichen Dinglich-
keit. Wie gebannt stand dre Künstler der Fleischlichkeit der Natur gegenüber; sie erschien
ihm nicht mehr theologisch-metaphysisch überhöht, — selbstherrlich und ausschließlich
ergriff sie Besitz von der faszinierten Formkraft des Künstlers. Hoogewerff54) weist dar-
auf hin, daß Werke wie die Fleischbude Aertsens nicht aus dem Rausch des Überflusses
gemalt worden seien, sondern gerade unter dem Druck des Mangejs und der Teuerung,
so daß sie aufzufassen wären als Kompensationen psychischer Komplexe. Unserer Mei-
nung nach gehen die Stilleben im Werke Pieter Aertsens weniger auf stimmungshaft-
individuelle Erscheinungen zurück, sondern auf das Stilphänomen einer naturalistischen
Richtung, die sich um die Mitte des 16. Jahrhunderts deutlich von einer mehr klassizi-
stisch-figuralen Richtung absetzt.

Der rnehr naturalistischen Stilrichung des mittleren 16. Jahrhunderts gehört auch das sogenannte
„Brueghel-Stilleben“ in Antwerpen55) an; eine seiner Repliken (Rotterdam) ist 1549 datiert. Als
Entstehungsort dieser und verwandter Kompositionen darf Antwerpen gelten, doch gelang bisher
keine Zuweisung an einen bestimmten Meister. Offenbar schloß sich Aertsen im Verlauf seiner Ant-
werpener Aufenthaltes (1535—1555/56) einer lokalen Richtung an, als er die Fleischbude von 1551
malte.

Die zahlreichen Werke Aertsen aus seiner Amsterdamer Zeit zeigen jedoch niemals
eine so hochgradige Verselbständigung des Stillebens wie jene Fleischbude von 1551;

48) M. J. Friedländer, Pieter Brueghel, Berlin 1921, S. 192 f. und S. 18 ff.

40) G. Glüdk, Aus drei Jahrhunderten Europäischer Malerei, 1933 (Gesammelte Aufsätze II),
S. 151 ff.

50) K. Tolnai, Die Zeichnungen Pieter Brueghels, München 1925.

51) F. Lugt, Pieter Brueghel und Italien, Friedländer-Festsdirift, Leipzig 1927, S. 111 ff.

52) Burlington Magazine 1949, S. 320.

53) J. Sievers, Pieter Aertsen, Leipzig 1908, Tf. 8.

51) NNdl. Sch. IV, S. 512.

55) Zarnowska, S. VI und S. 8 f.

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