Genovefa
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In den Trier'schen Landen lebte einst der vornehme Graf Siegfried, der hatte eine tugendsame schöne
Gemahlin, Genovefa geheißen, mit welcher er gar glücklich und zufrieden lebte. Da fiel Plötzlich der Mohren-
könig Aberofam mit großer Macht in Spanien ein und bedrohte auch Frankreich, zu dem damals das Gebiet
von Trier gehörte. König Martellus entbot deßhalb alle seine untergebenen Fürsten, Grafen und Vasallen,
unter andern auch den Grafen Siegfried. Gar traurig nahm dieser Abschied von seiner Gemahlin, empfahl
sie seinem treuesten Diener Golo und ritt mit schwerem Herzen hinweg, während die edle Gräfin trostlos in
die Arme ihrer Franen sank.
Längere Zeit stand Graf Siegfried dem Feinde gegenüber uud nur die günstigen Nachrichten, welche seine
Gattin erhielt, konnten sie aus der Schwermuth aufrichten, welche ihr beständiger Begleiter war. — Da ent-
zündete der Böse das Herz des Hofmeisters Golo und er erhob seine Augen zu seiner Gebieterin. Diese aber
wies ihn mit strengen Worten zurecht und gemahnte ihn an das Versprechen der Treue, welches er seinem
scheidenden Herrn gegeben hatte.
Nachdem der gottlose Knecht noch zu wiederholten Malen von der edlen Gräfin zurück gewiesen und ihm
selbst damit gedroht worden war, daß sie ihren Gemahl um Schutz anrufcu würde, sann er aus Rache.
— Unter dem Burggesinde befand sich ein Koch, Namens Drago, den die Gräfin als einen besonders treuen,
gottesfürchtigen und geschickten Diener sehr werth hielt. Der böse Golo benützte diesen Unistand, verdächtigte
seine edle Gebieterin einer verbrecherischen Zuneigung zu Drago und ließ ihn, sowie die arme Gräfin, in
die tiefen unterirdischen Kerker des Schlosses werfen.
In der schrecklichsten Lage, verlassen von aller Hülfe, genas die edle Fran eines Knäbleins, das sie, da
Golo ihm die Taufe versagte, in ihrem tiefen Leid und KUmmerniß selbst taufte und Schmerzensreich nannte.
— Golo hatte indeß dem Grafen einen Brief gesandt und mit grellen Farben seine Gattin bei ihm der
Untreue angektagt. Der Graf, an einer Wunde leidend, glaubte dem von ihm als treu vermeinten Bösewicht.
Golo empfing von ihm Befehl den Koch sofort hinrichten zu lassen, seine Gattin aber einzukerkern, bis er
zurück kehre. Da ließ Golo dem unschuldigen Drago Gift reichen, ritt dann dem Grasen entgegen, ihm den
Vollzug seiner Befehle anzuzeigen uud brachte cs mit Hülfe einer alten Zauberin, die dem edlen Herrn
trügerische Bilder zeigte, so weit, daß er ihn nach Hanse sandte mit dem Auftrage die unglückliche Genovefa
sammt ihrem Kindlein augenblicklich tödtcn zu lassen.
Frohlockend eilte der rachgierige Golo nach Hause und eröffnete einer Vertrauten, was ihm der Graf
befohlen. Das hörte zufällig die kleine Tochter derselben, eilte an den Kerker der armen Gräfin und theilte
ihr mit, was sie bedrohe. Da ließ sich die edle Frau von dem Kinde Feder, Dinte uud Papier bringen.
Hierauf schrieb sie an ihren Gatten unter heißen Thränen einen innigen Abschiedsbrief, worin sie ihm die
Bosheit Golos entdeckte, ihrem Gatten Alles verzieh uud diesen Brief durch das Kind in ihr Gemach legen
ließ. Am andern Morgen ließ Golo die Dulderin in schlechtem Gewände sammt ihrem Kiudlein durch zwei
Knechte in den Wald hinaus führen, die sollten sie tödten und ihre Augen als Beweis der verübten That
heim bringen. Die Schönheit und Anmuth der edlen Fran und ihres zarten Knäbleins rührten aber die
rohen Knechte und sie wagten nicht Hand an sie zu legen, sondern ließen ihr das Leben und stachen einem
Hunde die Augen ans, die sie dem grausamen Golo überlieferten.
Lange Zeit irrte die arme Gräfin in der Einsamkeit umher, bis sie endlich eine Höhle fand, in der sie
sich mit ihrem Kinde verbergen konnte. Ihre Lage war gar traurig und elend und sie wußte keine Nahrung
mehr aufzntreiben, so daß sie endlich dem zarten Kinde die Brust nicht mehr zu reichen vermochte. Da erhörte
Gott ihr Flehen und eines Tages gesellte sich eine Hirschkuh zu ihr, welche den kleinen Schmerzensreich mit
ihrer Milch nährte und treulich bei ihnen blieb.
Sieben Jahre lang lebte die edle Frau in der Wildniß unter Entbehrung, Kummer uud Schmerz.
Als der Gras zurückkehrte und von Golo die erfolgte Hinrichtung seiner Gattin vernahm, ward er gar
traurig und schwermüthig und Zweifel umdüsterteu seine Seele. Allein Golo wußte ihn auf alle Weise zu
zerstreuen und selbst als der Graf den Brief in seiner Gattin Zimmer fand, wußte er den Argwohn desselben
zu entkräften. Allein endlich glaubte sich der Bösewicht dennoch nicht mehr sicher nnd verließ heimlich
das Schloß. Jetzt sah der Graf klar und als ihm nun von allen Seiten Beweise von der Treue und
Hingebung seiner Gattin entgegen traten, da ward er trostlos und jammerte von Früh bis in die Nacht ob
seiner Leichtgläubigkeit nnd seiner harten That. — Rache an Golo aber wollte er nehmen und lud diesen gar
freundlich zu einer großen Jagd ein, was von dem Böswicht auch angenommen wurde.
Es begab sich nun auf dieser Jagd, daß der Graf eine Hirschkuh verfolgte, die sich endlich in eine Höhle
rettete. Er wirft einen Blick hinein und gewahrt neben dem zitternden Thiere eine bleiche, in rauhe Felle
gekleidete Fran. ES war das Genovefa; — hatten auch Leid und Kummer beide Gatten entstellt, nach wenigen
Worten erkannten sie sich und von Schmerz und Rührung überwältigt, sank Graf Siegfried seinem unschul-
digen todtgeglaubten Weibe zu Füßen. Auch der kleine Schmerzensreich uahete sich und der Vater zog den
Sohn an die hochklopfende Brust.
Bald eilte das Gefolge des Grafen herbei und die Gräfin und ihr Sohn wurden in einer Sänfte nach
dem Schlosse getragen, nebenher aber schritt die treue Hirschkuh und weit und breit war Freude über das
Wiederfinden der edlen Fran uud ihres Knaben. Golo ward dem Henker überliefert und erlitt die gerechte
Strafe für seine Schuld.
Münchener Bilderbogen.
Aro «o.
Hcransgegebcn nnd verlegt von K. Brann und F. Schneider in München.
-l Auflage.
Drnck von I)r C. Wolf K Sohn in München.
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In den Trier'schen Landen lebte einst der vornehme Graf Siegfried, der hatte eine tugendsame schöne
Gemahlin, Genovefa geheißen, mit welcher er gar glücklich und zufrieden lebte. Da fiel Plötzlich der Mohren-
könig Aberofam mit großer Macht in Spanien ein und bedrohte auch Frankreich, zu dem damals das Gebiet
von Trier gehörte. König Martellus entbot deßhalb alle seine untergebenen Fürsten, Grafen und Vasallen,
unter andern auch den Grafen Siegfried. Gar traurig nahm dieser Abschied von seiner Gemahlin, empfahl
sie seinem treuesten Diener Golo und ritt mit schwerem Herzen hinweg, während die edle Gräfin trostlos in
die Arme ihrer Franen sank.
Längere Zeit stand Graf Siegfried dem Feinde gegenüber uud nur die günstigen Nachrichten, welche seine
Gattin erhielt, konnten sie aus der Schwermuth aufrichten, welche ihr beständiger Begleiter war. — Da ent-
zündete der Böse das Herz des Hofmeisters Golo und er erhob seine Augen zu seiner Gebieterin. Diese aber
wies ihn mit strengen Worten zurecht und gemahnte ihn an das Versprechen der Treue, welches er seinem
scheidenden Herrn gegeben hatte.
Nachdem der gottlose Knecht noch zu wiederholten Malen von der edlen Gräfin zurück gewiesen und ihm
selbst damit gedroht worden war, daß sie ihren Gemahl um Schutz anrufcu würde, sann er aus Rache.
— Unter dem Burggesinde befand sich ein Koch, Namens Drago, den die Gräfin als einen besonders treuen,
gottesfürchtigen und geschickten Diener sehr werth hielt. Der böse Golo benützte diesen Unistand, verdächtigte
seine edle Gebieterin einer verbrecherischen Zuneigung zu Drago und ließ ihn, sowie die arme Gräfin, in
die tiefen unterirdischen Kerker des Schlosses werfen.
In der schrecklichsten Lage, verlassen von aller Hülfe, genas die edle Fran eines Knäbleins, das sie, da
Golo ihm die Taufe versagte, in ihrem tiefen Leid und KUmmerniß selbst taufte und Schmerzensreich nannte.
— Golo hatte indeß dem Grafen einen Brief gesandt und mit grellen Farben seine Gattin bei ihm der
Untreue angektagt. Der Graf, an einer Wunde leidend, glaubte dem von ihm als treu vermeinten Bösewicht.
Golo empfing von ihm Befehl den Koch sofort hinrichten zu lassen, seine Gattin aber einzukerkern, bis er
zurück kehre. Da ließ Golo dem unschuldigen Drago Gift reichen, ritt dann dem Grasen entgegen, ihm den
Vollzug seiner Befehle anzuzeigen uud brachte cs mit Hülfe einer alten Zauberin, die dem edlen Herrn
trügerische Bilder zeigte, so weit, daß er ihn nach Hanse sandte mit dem Auftrage die unglückliche Genovefa
sammt ihrem Kindlein augenblicklich tödtcn zu lassen.
Frohlockend eilte der rachgierige Golo nach Hause und eröffnete einer Vertrauten, was ihm der Graf
befohlen. Das hörte zufällig die kleine Tochter derselben, eilte an den Kerker der armen Gräfin und theilte
ihr mit, was sie bedrohe. Da ließ sich die edle Frau von dem Kinde Feder, Dinte uud Papier bringen.
Hierauf schrieb sie an ihren Gatten unter heißen Thränen einen innigen Abschiedsbrief, worin sie ihm die
Bosheit Golos entdeckte, ihrem Gatten Alles verzieh uud diesen Brief durch das Kind in ihr Gemach legen
ließ. Am andern Morgen ließ Golo die Dulderin in schlechtem Gewände sammt ihrem Kiudlein durch zwei
Knechte in den Wald hinaus führen, die sollten sie tödten und ihre Augen als Beweis der verübten That
heim bringen. Die Schönheit und Anmuth der edlen Fran und ihres zarten Knäbleins rührten aber die
rohen Knechte und sie wagten nicht Hand an sie zu legen, sondern ließen ihr das Leben und stachen einem
Hunde die Augen ans, die sie dem grausamen Golo überlieferten.
Lange Zeit irrte die arme Gräfin in der Einsamkeit umher, bis sie endlich eine Höhle fand, in der sie
sich mit ihrem Kinde verbergen konnte. Ihre Lage war gar traurig und elend und sie wußte keine Nahrung
mehr aufzntreiben, so daß sie endlich dem zarten Kinde die Brust nicht mehr zu reichen vermochte. Da erhörte
Gott ihr Flehen und eines Tages gesellte sich eine Hirschkuh zu ihr, welche den kleinen Schmerzensreich mit
ihrer Milch nährte und treulich bei ihnen blieb.
Sieben Jahre lang lebte die edle Frau in der Wildniß unter Entbehrung, Kummer uud Schmerz.
Als der Gras zurückkehrte und von Golo die erfolgte Hinrichtung seiner Gattin vernahm, ward er gar
traurig und schwermüthig und Zweifel umdüsterteu seine Seele. Allein Golo wußte ihn auf alle Weise zu
zerstreuen und selbst als der Graf den Brief in seiner Gattin Zimmer fand, wußte er den Argwohn desselben
zu entkräften. Allein endlich glaubte sich der Bösewicht dennoch nicht mehr sicher nnd verließ heimlich
das Schloß. Jetzt sah der Graf klar und als ihm nun von allen Seiten Beweise von der Treue und
Hingebung seiner Gattin entgegen traten, da ward er trostlos und jammerte von Früh bis in die Nacht ob
seiner Leichtgläubigkeit nnd seiner harten That. — Rache an Golo aber wollte er nehmen und lud diesen gar
freundlich zu einer großen Jagd ein, was von dem Böswicht auch angenommen wurde.
Es begab sich nun auf dieser Jagd, daß der Graf eine Hirschkuh verfolgte, die sich endlich in eine Höhle
rettete. Er wirft einen Blick hinein und gewahrt neben dem zitternden Thiere eine bleiche, in rauhe Felle
gekleidete Fran. ES war das Genovefa; — hatten auch Leid und Kummer beide Gatten entstellt, nach wenigen
Worten erkannten sie sich und von Schmerz und Rührung überwältigt, sank Graf Siegfried seinem unschul-
digen todtgeglaubten Weibe zu Füßen. Auch der kleine Schmerzensreich uahete sich und der Vater zog den
Sohn an die hochklopfende Brust.
Bald eilte das Gefolge des Grafen herbei und die Gräfin und ihr Sohn wurden in einer Sänfte nach
dem Schlosse getragen, nebenher aber schritt die treue Hirschkuh und weit und breit war Freude über das
Wiederfinden der edlen Fran uud ihres Knaben. Golo ward dem Henker überliefert und erlitt die gerechte
Strafe für seine Schuld.
Münchener Bilderbogen.
Aro «o.
Hcransgegebcn nnd verlegt von K. Brann und F. Schneider in München.
-l Auflage.
Drnck von I)r C. Wolf K Sohn in München.